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Neutralität heißt auch Einsatz für den Frieden

Von Gerhard Oberkofler

Gastkommentare
Gerhard Oberkofler ist Historiker. Er war Universitätsprofessor für Geschichte an der Universität Innsbruck, Gründungsmitglied und Vizepräsident der Alfred Klahr Gesellschaft sowie Mitglied der KPÖ.
© privat

Die Gegenwart der österreichischen Politik kennt keine Neutralitätspflichten.


Die Arbeiten des international hochgeachteten Wiener Völkerrechtlers Alfred Verdross werden solchen Studenten der Rechtswissenschaft wie Kanzler Sebastian Kurz wohl nie begegnet sein. Für Verdross war die dauernde Neutralität der Republik Österreich, weil nicht allein im Neutralitätsgesetz vom 26. Oktober 1955 verankert, nicht einseitig aufhebbar, sondern internationale Verpflichtung, "immer neue Neutralität zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird". Dabei zitierte Verdross den damaligen Vorsteher des Politischen Departements der Eidgenossenschaft, Max Petitpierre, der 1959 die Notwendigkeit einer aktiven Neutralitätspolitik betonte: Ein neutraler Staat müsse bereit sein, "Aufgaben des Friedens auf sich zu nehmen, um die friedliche Lösung von Problemen zu erleichtern". Die Neutralität erlange ihre volle Daseinsberechtigung erst, "wenn sie neben den ihr eigenen unmittelbaren Zwecken auch dem übergeordneten Ziele des allgemeinen Friedens dient".

So wie Verdross hat Dietrich Schindler, Schweizer Spezialist für humanitäres Völkerrecht, argumentiert, was Neutralität im Völkerrecht bedeutet, und speziell auch die Enthaltungspflichten der Neutralen definiert: "Der dauernd neutrale Staat hat schon im Frieden alles zu unterlassen, was ihm die Aufrechterhaltung der Neutralität im Kriegsfall unmöglich machen könnte (zum Beispiel Anschluss an Verteidigungspakte), und die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um im Kriegsfall die Neutralität aufrechterhalten zu können".

Die Gegenwart der österreichischen Politik kennt keine Neutralitätspflichten. Österreichs Bundesheer beteiligt sich an den unter Verantwortung der Division Schnelle Kräfte der Deutschen Bundeswehr stehenden EU-Battlegroups und ist im Operativen Headquarter in Ulm mit österreichischen Soldaten vertreten. Die Heereszeitschrift "Truppendienst" vermittelt dazu mit gekonnten Fotos von der Ausbildung in Gefechtstechnik und Taktik unter deutscher Führung die Schönheit künftigen Kampfgeschehens.

In der "Österreichischen Militärischen Zeitschrift" war zuletzt viel von der "hybriden Bedrohung", die etwa mit Desinformation zur Destabilisierung der Gesellschaft führen könne, die Rede. Sinngemäß wurde gefordert, das Bundesheer müsse selbst ein "hybrider Akteur" werden, wozu ein gesamtstaatliches ressortübergreifendes Lagezentrum nötig sei. Der 2011 installierte Nationale Sicherheitsrat genügt den Verantwortlichen offenkundig für die beabsichtigte Militarisierung der Gesellschaft nicht.

Österreichs Eliten sind nicht an der immerwährenden österreichischen Neutralität interessiert. Sie untergraben diese vielmehr mit "hybriden" Methoden nach innen und außen. Zum Beispiel verhöhnt Gerhard Jandl, österreichischer Botschafter beim Europarat in Straßburg und seit Jahren im sicherheitspolitischen Beraterumfeld von Kanzler Kurz aktiv, die österreichische Neutralität als "mythisch überhöht" und betont die Notwendigkeit von Österreichs Beteiligung an der Nato, wozu es keine neutralistische Begleitmusik bedürfe. Die Aktivitäten Russlands würden die Notwendigkeit unterstreichen, sich auf einen neuen Krieg mit Russland vorzubereiten.