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Die Post-Corona-Kultur

Von Wilfried Riether

Gastkommentare

Das soziale Umfeld wird sich verändern. Vertrauen ist gefordert. Die Pandemie sollte zu einem Umdenken führen.


Was kommt nach der Pandemie samt Lockdown? Wird die Post-Corona-Kultur tendenziell eine Art "digitale Biedermeierzeit"? Das "traute Heim", abgeschirmt, geschützt, tendenziell eher lokal, national orientiert: Das bietet dann politischen Spielraum für kaum erstrebenswerte Orientierungen. Wirtschaftlich schlimmer als nach einem verlorenen Krieg, kein Wiederaufbau, aber es fehlen die funktionierende Infrastruktur und der Konsum. Die Staaten leiden jahrelang an Geldnot und Schulden, es droht die Gefahr einer galoppierenden Inflation, vergleichbar mit der Zeit vor 100 Jahren. Dieses Mal wird aber die europäische Geldpresse angeworfen werden, was letztlich nur die Dimension verändert.

Große Kriege hatten ein klares Ende, das fehlt bei den "kleinen" Kriegen, Stellvertreterkriegen oder Glaubenskriegen - auch beim Coronavirus, das eine bleibende Bedrohung darstellt, solange es weder Impfung noch Medikamente gibt. Strukturell und in Bezug auf den Lebensstandard sind wir konfrontiert mit einer nicht greifbaren enormen Unsicherheit des Arbeitsplatzes. Viele Jobs gingen und gehen unwiderruflich verloren. Speziell Dienstleistungen und Konsumgewohnheiten betreffend Urlaub oder Freizeit sind derzeit stillgelegt, Bereiche ohne erkennbare Perspektive. Existenzängste und Insolvenzgefahren bestimmen unsere Welt. Und bewusst ist uns nur, dass es bis auf weiteres nie mehr so werden wird, wie es war.

Wir bewegen uns verstärkt in einer Welt der Abhängigkeit von der technischen Infrastruktur. Wir nutzen die Digitalisierung, vom Homeoffice bis zum bargeldlosen Zahlen, dem Verkehr mit Behörden, dem Kontakthalten mit der Familie, den Alten, und Freunden. Der Gebrauch wurde allgemein erlernt, Vorteile wurden erkannt, das Virus brachte einen kulturellen Technologieschub. Natürlich werden damit auch Probleme wie die Achtung der Privatsphäre und der behördlichen Überwachung sichtbar, was politisch gelöst werden muss. Virologen meinen, dass wir lernen müssen, einige Jahre mit dem Virus zu leben. Dort und da wird auf konzentrierte Ausbrüche reagiert werden müssen, so wie es Grippeferien gegeben hat, kommt es zu Corona-Abriegelungen. Letztlich müssen wir die Infektion akzeptieren, so wie wir Grippetote, Problemfälle und Tote bei Masern, Verkehrstote, Ebola, Sars und Ähnliches akzeptieren - solange es uns nicht selbst betrifft.

Diese Pandemie wird uns als historisches Ereignis noch lange Zeit begleiten - und soziale Katastrophen durch Existenzverlust, Arbeitslosigkeit und Hunger werden unausweichlich der Krankheit folgen. In den Industriestaaten werden neue Herausforderungen zu bewältigen sein, besonders in der Arbeitswelt. Wie werden künftig Arbeitsplätze erreicht werden? Öffentliche Verkehrsmittel sind plötzlich nicht attraktiv wegen der Ansteckungsgefahr, Bahn, Bus, U-Bahn, Taxi also nur bedingt eine Lösung. Den Individualverkehr wollen wir aber nicht verstärken. Das künftige Leben wird also Pendeln mit Teleworking verbinden. Es bliebe noch das Wohnen in der Nähe des Arbeitsplatzes, der dann zu Fuß erreichbar ist. Und dass das "eigene" Büro im Unternehmen von einer flexiblen Arbeitsplatzlösung abgelöst wird, wurde schon vor der Corona-Zeit begonnen, dieser Trend wird jedoch nun verstärkt.

Im Bildungsbereich, speziell bei den Universitäten, sind Kürzungen der Budgets erwartbar, da der Staat pleite ist. Studierende und Schüler "lernten" Selbstorganisation, konzentrierteres Arbeiten, sachliche Fragestellungen. Lehrer müssen die Herausforderungen annehmen, effizienter durch digitalen Unterricht. Herausforderungen, die es vor der Corona-Zeit bereits in den Bereichen der virtuellen, digitalen Meetings in Lehre und Management gab - künftig Alltag, methodisch natürlich noch feiner organisiert.

Mehr Personen werdenan der Armutsgrenze landen

Arbeitslose, Grundversorgung und soziale Leistungen: Hier wird es notwendig sein, neue Regelungen zu etablieren, die auf Mindestversorgungen abgestimmt sind. Kürzungen und Mindestversorgung statt Maximalerhalt des Standards werden zwingend notwendig werden. Unausweichlich werden daher mehr Personen an der Armutsgrenze landen, sofern sie nicht durch eigene Versicherungen oder Vorsorge abgesichert sind. Eigenverantwortung wird das Schlagwort werden, der Staat wird versuchen, die Minimalbasis zu sichern. Die erwartbaren damit verbundenen sozialen Spannungen könnten aber leicht außer Kontrolle geraten. Es wird allgemein kaum akzeptiert werden, dass für einige Gruppen hohe Sozialleistungen ausgeschüttet werden, während andere total unversorgt bleiben.

Die Gewerkschaft hatte ihre traditionelle Funktion ja schon Ende des vorigen Jahrhunderts verloren. Verdienst erwarb sie sich, dass sie wesentliche Forderungen der Arbeitnehmer erreicht hat. In den vergangenen Jahren versuchte sie sich mit Forderungen herumzuschlagen, die auf alten Grundlagen aufbauen - Arbeitsleid und Ausbeutung sind aber nicht die Themen des qualifizierten Mitarbeiters. Nun hat die Gewerkschaft neue Herausforderungen, die jedoch nicht zum bisherigen arbeitszeitbezogenen Leidbild des Dienstnehmers der Gewerkschafter gehören. Arbeitsprozesse, die digitalisiert ablaufen, sind aufgaben- und leistungsorientiert - damit allerdings nur individuell, ergebnisbezogen messbar, die zeitbezogene Ausrichtung entfällt. Daneben gibt es die großen Sektoren Dienstleistung, Gewerbe, Handwerk, die Leistungen physisch realisieren, nun als "Helden" gefeiert ohne die das Leben nicht funktioniert. Hier ist allerdings auch mehr individuelle Gestaltung gefordert, Rahmenbedingungen ohne pragmatische, enge Lösungen. Hier liegen auch die Herausforderungen für Unternehmer und Führungskräfte, die auf Ausgewogenheit und Fairness achten sollten.

Dem Sport und der Kulturwird viel Geld fehlen

Im Sport sind mannigfaltige Probleme erwartbar. Unglaubliche Gehaltssummen, die sich durch volle Stadien und Verkaufszahlen rechnen, sind nicht mehr erwartbar, das große Geld wird da nicht mehr zu machen sein. Wenn Spitzenfußballer großzügig drei Monate auf ein Gehalt verzichten und erklären, damit Millionen Euro einzusparen, zeigt das die Größenordnung, aber auch deren Realitätsverlust. Das Problem liegt darin, dass das Geld nicht mehr eingespielt werden kann mit Besuchern und Übertragungsrechten. Akteure und Vereine werden umdenken müssen, neue Geschäftsmodelle werden entstehen, alte verschwinden.

Für die Kultur fehlt dem Staat das Geld, allgemein aber auch selektiv. Kürzungen der Förderungen werden stattfinden, Museen, Theater, Konzerte und so manches Projekt, das von Sponsoren abhängig ist, werden sich neu orientieren müssen inklusive den Honoraren für Stars - und mit der Gefahr, dass die vielfach freiberuflichen "billigen" Künstler noch knauseriger bezahlt werden. Manche Sponsoren kämpfen selbst ums wirtschaftliche Überleben. Die Sponsoring-Möglichkeiten werden generell neu überdacht werden müssen. Wo Stiftungen als Finanziers vorhanden sind, wird der Gürtel enger geschnallt werden. Stiftungen sind letztlich in der Wirtschaft investiert, um die Erträge für den Stiftungszweck zu erwirtschaften und diese Erträge werden geringer ausfallen.

Die hohen Unterstützungsförderungen führen zu enormen Verschuldungen aller Staaten. Bei allen Meldungen wird wenig darüber diskutiert, dass die wirtschaftlichen Probleme, Gewinneinbußen, Einkommensverluste, fehlende Konsumausgaben am Ende zur Reduktion der Steuereinnahmen führt. Im Topf, aus dem letztlich alle Transferleistungen bezahlt werden, ist weniger drin. Als Beispiel: Ein abgesagtes Fußballspiel mit 20.000 Besuchern führt zu einem Einnahmenausfall von 4 bis 5 Millionen Euro für den Veranstalter, aber auch zum Entgang von gut 1 Million Euro an Mehrwertsteuer. Der Ausfall der Auszahlungen an Beschäftigte bedeutet einen Wegfall von Kaufkraft, die meist kurzfristig wieder im Konsum landete. Dazu kommen die Verluste durch laufende Kosten. Das führt nicht nur zum Ausfall der Gewinnsteuer, sondern reduziert die Gewinnsteuer nachhaltig durch die Gegenrechnung bei künftigen Gewinnen. Im schlimmsten Fall entsteht ein volkswirtschaftlicher Verlust durch eine Insolvenz. Das zeigt die Dramatik der Situation.

Ohne wirksames Medikament ständige Angst und Sorge

Es ist für den Verfasser kaum vorstellbar, dass die Lebensart, wie sie während der Corona-Zeit etabliert wurde, auf Dauer die Gesellschaft bestimmen wird. Die Entwicklung entscheidet sich wohl an der Antwort auf die Frage: Gibt es eine Behandlung im Falle der Infektion? Bei genauer Betrachtung hatten wir ja bei der Grippe schon Probleme mit der Behandlung - letztlich eine Ausheilung mit Fiebersenkung und Kreislaufstabilisierung. Auch der Umgang mit Corona wird sich daran entscheiden, ob es ein wirksames Medikament gibt. Solange das nicht der Fall ist, werden wir in ständiger Angst und Sorge leben.

Die Vorsorge mit einer Impfung wäre eine erwünschte Option. Es ist vorstellbar, dass sich dann in Österreich mehr Personen impfen lassen werden als gegen die Grippe; auch Impfgegner werden großteils umdenken. Problematisch bleiben Gruppen, die meist aus Glaubensgründen jede Impfung ablehnen. Das Märchen der "Herdenimmunität" bleibt eine irreführende Aussage. Verdeutlicht wird das durch die notwendige Anzahl: Wenn weniger als 1 Prozent der Bevölkerung positiv mit dem Virus konfrontiert war und eine Herdenimmunität erst bei 80 Prozent vorhanden wäre. Um zur Normalität zurückzukehren, bleibt also die entscheidende Frage: Wann gibt es ein Medikament für den Fall einer Infektion, und wann gibt es eine Impfung?

Gelingt es damit, dass Covid-19 zu einer "normalen" Krankheit wird, also im Wesentlichen beherrschbar wie Grippe, Kinderlähmung, Masern, Keuchhusten oder Röteln? Hoffentlich gibt es bald gute Nachrichten, damit staatliche Einschränkungen für unser normales Leben der Vergangenheit angehören. Der Wunsch wäre, dass die Corona-Pandemie dazu führt, dass wir unsere Kultur verändern, nachhaltig rücksichtsvoller miteinander umgehen aber auch Leichtsinnigkeiten beim Besuch von Krankenanstalten oder Heimen unterlassen und hygienisch vorsorgen. Optimistische Hoffnung: Hoffentlich bleibt auch ein Teil der beobachteten gegenseitige Höflichkeit erhalten und weicht nicht einem egoistischen Kampf ums Überleben.