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Zeit für Corona-Realismus

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Nur 2 der 1.600 Toten in Österreich vorige Woche starben an Covid-19. Das lässt doch vorsichtige Schlüsse zu.


Wer, aus beruflichen Gründen oder aus privatem Interesse, den täglichen Blick auf die neuesten Corona-Zahlen zum Teil seiner morgendlichen Routine gemacht hat wie Zähneputzen, hat seit einiger Zeit keinen sehr vergnügten Start in den Tag. Die Zahl der Neuinfizierten hat wieder ein beunruhigend hohes Niveau erreicht, weswegen ja auch Tag für Tag neue Reisewarnungen ausgegeben werden. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis wieder alle Länder vor Reisen in alle Länder warnen. Und je näher die kalte Jahreszeit kommt, umso größer wird die Zahl jener, die die Gegenwart bloß für die Zeit zwischen zwei Lockdowns halten.

Tatsächlich ist die Lage ganz offensichtlich noch nicht unter Kontrolle, tatsächlich geht von Corona nach wie vor Gefahr aus.

Erstaunlich wenig wird unter all diesen schlechten Nachrichten freilich eine ausgesprochen gute beachtet: In Österreich und vergleichbaren Staaten stirbt kaum noch jemand an Covid-19. Die Toten der jüngsten Zeit sind praktisch an den Fingern einer Hand abzuzählen, viele Tage hindurch blieb in der Statistik die Zahl der pro Tag registrierten Todesfälle beim außerordentlich erfreulichen Wert "null" hängen. Nur 2 von insgesamt 1.600 Todesfällen in der vergangenen Woche in Österreich sind auf Covid-19 zurückzuführen. Damit hat die Corona-Sterblichkeitsrate mittlerweile einen erfreulich geringen Wert. Parallel dazu bleibt, trotz der stark steigenden Zahl positiv getesteter, die Zahl jener, die ins Spital oder gar auf die Intensivstation müssen, erstaunlich gering.

Verantwortlich für diese günstige Entwicklung dürften mehrere Faktoren sein: Die meisten Älteren haben gelernt, sich weitgehend selbst zu schützen, und stecken sich daher vergleichsweise weniger an, die Jungen hingegen sterben eben deutlich seltener oder weisen, wenn überhaupt, nur milde Krankheitsverläufe auf. Und, auch wichtig: Die Medizin kann heute therapeutisch viel besser mit Corona umgehen als noch vor einem halben Jahr. All das führt dazu, dass der Tod immer weniger vom Virus profitiert und von einer Übersterblichkeit hierzulande akut nicht die Rede sein kann.

Einiges spricht daher für die Position des Gesundheitswissenschafters Martin Sprenger: "Ich hoffe, die Politik hält Abstand vor unnötigem Aktionismus und unnötiger Angstmacherei." Das ist freilich überhaupt kein Grund, die von Corona nach wie vor ausgehenden Gefahren zu bagatellisieren, etwa die teils üblen Folgeschäden bei vielen, die die Krankheit vorerst überwunden haben. Die Gleichsetzung von Corona mit normaler Grippe ist nach wie vor so nicht richtig, auch wenn sich die Mortalitätsraten immer ähnlicher werden.

Vor allem aber sind die erfreulich niedrigen Sterbezahlen kein Grund, sämtliche Sicherheitsregeln zu missachten und sich zu benehmen, als sei Corona eine Erfindung der Illuminaten, von Bill Gates oder der Familie Rothschild, wie das am Narrensaum dieser Debatte ja insinuiert wird.

Corona ist und bleibt eine Gefahr - aber sie als die größte aller Bedrohungen unserer Gesundheit zu verstehen, ist unwissenschaftlich und unverhältnismäßig.