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Die Sache mit der Maske

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Dem Staat Freiheitsräume abzuringen, ist wünschenswert. Doch die Maske ist der falsche Anlass.


Wenn Nachrichtenmagazine rund um die Welt zum Jahresende hin die Person oder die Sache des Jahres küren, hat heuer, abgesehen von einem bestimmten Virus, ein einfacher Gegenstand gute Chancen, sämtliche Cover zu zieren: die Maske als Symbol für das, was 2020 war. Nicht nur aus medizinischen, sondern vor allem aus emotionalen Gründen. Denn das Teil hat die Gemüter rund um die Welt in einem Ausmaß erregt, das in keiner Relation zu den Vor- oder Nachteilen des Mund-Nasen-Schutzes steht. Für die einen ist es eine Art unverzichtbarer Fetisch der Seuchenbekämpfung geworden; für die anderen ein Symbol der Unterdrückung und des Weges in die Hygienediktatur, ein "Maulkorb".

Dabei ist die Faktenlage banal. Für eine kurze Fahrt mit den Öffis oder den Einkauf im Supermarkt ist die Beeinträchtigung des Trägers minimal; bei einer längeren Bahnfahrt wird’s mühsam, und einen Flug nach Tokio mit dem Teil mag man sich nicht vorstellen. Alles in allem für den normalen Alltag keine allzu große Sache, sollte man meinen. Auch von der Wirkung her übrigens: Dass Masken - je nach Machart und Tragkultur - das Risiko einer Ansteckung in bestimmten Situationen so um die 20 Prozent verringern dürften, ist wahrscheinlich; im Freien hingegen sind sie blanker Unsinn.

Aber warum, angesichts dieser eher mäßig aufregenden Fakten, dann die maßlose Erregung vieler Mitbürger? Möglich, dass eine vermeintlich eingeschränkte Freiheit und ein als stark empfundener Kontrollverlust die Ursache dieses eigentümlich überschießenden Phänomens sind. Denn natürlich kann der Zwang, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, als Freiheitsberaubung empfunden werden, jedenfalls auf der emotionalen Ebene. Und natürlich kann dies auch als Kontrollverlust erscheinen, noch dazu in einem so elementaren Kontext wie dem eigenen Gesicht.

Rational ist das freilich nicht. Denn darüber, dass der Staat legitimiert ist, unser Recht auf Freiheit zu beschneiden, wenn die Mehrheit dies für richtig hält, herrscht ja breiter Konsens. Deshalb nehmen wir auch in Kauf, dass der Staat uns etwa hohe Steuerleistungen abpresst - und damit unsere Freiheit (über unser Einkommen selbst zu disponieren) massiv beschränkt. Genauso, wie er unsere Freiheit beschränkt, betrunken und ohne Sicherheitsgurt mit Tempo 200 über den Gürtel zu bolzen oder ein Eigenheim ohne Statiker zu errichten. Es bleibt das Geheimnis militanter Maskengegner, warum sie all diese - teils wirklich massiven - Einschränkungen ihrer Freiheit in aller Regel kommentarlos hinnehmen, die im Vergleich marginale Einschränkung durch eine Viertelstunde oder so Maske tragen hingegen als absolut unzumutbar empfinden. Andersrum wäre es nachvollziehbarer.

Rational wird das eher schwer zu erklären sein; genauso wenig wie das gerne gebrachte Argument, die Maske sei ein Symbol für den Weg in die Diktatur, das wird im Club der echten Diktatoren eher für Heiterkeit sorgen, die brauchen so was nämlich nicht. Dem Staat mehr Freiheitsrechte zu entsteißen, kann nie falsch sein. Aber die Maske ist da das geringste Problem.