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Ziemlich zweifelhafte Zahlen

Von Stefan Schleicher

Gastkommentare
Stefan Schleicher ist Professor am Wegener Center für Klima und globalen Wandel an der Karl-Franzens-Universität Graz.

Die Folgen des fast täglichen politischen Zahlenbasars sind destruktiv.


Bis zu 50.000 zusätzliche Jobs könnten angeblich geschaffen werden, wenn 20 Prozent regionale Produkte mehr in Österreich gekauft werden.  Das war eine Passage in der Rede des Kanzlers zur Lage der Nation. Eine solche Zahl wäre immerhin eine Beschäftigungschance für jede achte derzeit als arbeitslos gemeldete Person. 15 Milliarden Euro kostet Österreich angeblich jährlich das Nicht-Handeln im Kampf gegen die Klimakrise. Das meldete eine Presseaussendung des zuständigen Ministeriums. Auch diese Zahl ist beachtlich, denn sie nähert sich den gesamten jährlichen Ausgaben für Bildungseinrichtungen von Pflichtschulen bis Universitäten.

Ein Versuch, die Fundierungen für solche Zahlen zu erkunden, erfordert einige Ausdauer. Spürsinn im Internet ist nötig, denn die Quellen sind bei den Absendern der Zahlenbotschaften nicht auffindbar. Wird man schließlich fündig, öffnen sich aufschlussreiche Hintergründe zum Zustandekommen solcher Zahlenphänomene. Die Studie zu verstärktem Regionalkonsum etwa wird von den Verfassern als Denkanstoß heruntergestuft, denn es fehlen offensichtlich viele relevante Komponenten, etwa der Import von Futtermitteln oder die Kaufkrafteffekte bei den Haushalten. Und bei den behaupteten Kosten des Nicht-Handelns in der Klimapolitik lassen sich in der zugrunde liegenden Studie die behaupteten 15 Milliarden Euro überhaupt nicht finden. Für die Presseaussendung wurden quantifizierte Teilaussagen addiert, die nicht addierbar sind.

Die Folgen eines solchen fast täglichen politischen Zahlenbasars sind in mehrfacher Hinsicht destruktiv. Wird die Versuchung zur Fiktion von meinungsmanipulierenden Tagesmeldungen höher als die Fundierung des politischen Handelns durch Fakten, so kippt irgendwann die Glaubwürdigkeit nicht nur der Personen, sondern auch der Institutionen, für die sie tätig sind. Dann ist auch ein korrupter Effekt auf die Verfasser sogenannter Studien nicht zu unterschätzen, die als Unterfutter für die politische Meinungsbildung in Auftrag gegeben werden.

Was könnten wir aus den beiden angeführten Beispielen des politischen Zahlenpokers mitnehmen? Zur gravierenden Situation bei der Arbeitslosigkeit wäre das die Einsicht, dass hier eine viel intensivere Auseinandersetzung nötig wäre, die schließlich das Design einer umfassenden Post-Corona-Politik erfordert. Dafür wäre aber eine ungleich intensivere Kommunikation zwischen Politik, Wissenschaft und Sozialpartnern erforderlich. Und zur noch kaum über Symbolhandlungen hinausgekommene Klimapolitik wäre es ebenfalls eine Neupositionierung, dass zukunftsfähige Post-Corona-Strukturen auch die Klimainteressen mitnehmen. Dann könnte sich die Klimapolitik von den simplen Rezepten für Erneuerbare, Gebäudesanierung und E-Fahrzeugen verabschieden.

Täglich erfahren wir, dass Kommunikation zur vielleicht wichtigsten Aufgabe auf allen Ebenen der Politik geworden ist. Viele kolportierte Zahlen sind nicht belastbar. Von den angekündigten mehr als 50 Milliarden Euro an Corona-Hilfspaketen bis zu den behaupteten 3.700 Asylanträgen unbegleiteter Kinder und Jugendlicher heuer reicht die Liste der Hit-and-run-Strategien der ministeriellen Medien-Maschinisten.

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