Zum Hauptinhalt springen

Die Klimakrise demokratisch bewältigen

Von Tamara Ehs, Michaela Krömer und Katharina Rogenhofer

Gastkommentare

Hinter dem Klimaschutz muss eine breite Mehrheit stehen - auch mittels Volksbegehren, Verfassungsklagen, Bürgerräten.


Der Himmel orange. Über allen Gipfeln ist Rot. Die Waldbrände an der US-Westküste verdeutlichen erneut: Die Klimakrise ist da. Auch in Österreich zeigt sich die Erhitzung in der Zunahme von Überflutungen, Muren, Ernteausfällen und Waldsterben. Dass die Menschen Klimaschutz wollen, belegen alle Umfragen. Selbst in Zeiten einer weltweiten Pandemie empfinden viele die Klimakrise als wichtigstes Handlungsfeld. Das bestätigen 380.590 Unterschriften beim Klimavolksbegehren. Noch im Herbst wird das Anliegen im Parlament behandelt und sich zeigen, ob den Worten der Politik Taten folgen. Denn diese brauchen wir dringend, wenn Bilder wie oben angeführt nicht Alltag werden sollen.

Obwohl die Bewältigung der Klimakrise die demokratische Teilhabe aller benötigt, wird sie uns allzu oft erschwert. So bremsten das Klimavolksbegehren, das ohnehin im Ausnahmezustand der Corona-Krise stattfand, technische Gebrechen, die eine Unterschrift am ersten und letzten Tag der Eintragungswoche verunmöglichten. Viele wurden sogar von Ämtern weggeschickt. Solche Vorkommnisse und die nachfolgende Weigerung der Behörden, die Eintragungsfrist um einen Tag zu verlängern, schaden dem Vertrauen, dass Partizipation tatsächlich politisch erwünscht sei. Hinzu kommt, dass Volksbegehren nach der Behandlung im Nationalrat üblicherweise ohne Ergebnis bleiben. Das Klimavolksbegehren, das am 23. September einem Ausschuss zugewiesen wird, gerät zum Gradmesser türkis-grüner Politik: Ist sie bereit, der größten Herausforderung des Jahrhunderts mit echten Maßnahmen zu begegnen?

Die weltweite Klimabewegung fordert Taten, doch wirksame Instrumente gegen säumige Regierungen sind rar. Deshalb nutzen immer mehr Menschen den Weg über die Gerichte, um wirksame Maßnahmen zu erkämpfen. Vor wenigen Wochen etwa reichten acht portugiesische Kinder eine Beschwerde gegen 33 Mitgliedstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention, darunter Österreich, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Auch eine Klimaklage aus Österreich - eine Bündelung von Individualanträgen vor dem Verfassungsgerichtshof - forderte die Aufhebung klimaschädlicher Gesetze. Juristisch gesehen genügt der Erfolg eines dieser 8.063 Anträge, um ein Gesetz zu kippen. Die heimische Klimaklage zählt somit zur demokratischen Beteiligungsform der strategischen Prozessführung, deren primäres Ziel ist, mittels Rechtsverfahren gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken, die über den Einzelfall hinausgehen. Das seit Jahrzehnten in der anglo-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung beliebte Mittel bedient sich des Handwerkes des Rechtes, um eine Gesellschaft und das von ihr geschaffene Rechtssystem fortzubilden. Es geht um mehr Gerechtigkeit und Systemänderung. Dafür braucht es Öffentlichkeit und Sichtbarkeit.

Klimaklage und Systemfrage

Im Kern der Klimaklage geht es um die Systemfrage, also darum, ob Österreichs Verfassung und die Menschenrechte uns in der Klimakrise Schutz bieten und wie wir ihn einfordern können. Die Untätigkeit des Gesetzgebers - das wahre Problem - kann allerdings im österreichischen Rechtssystem nicht direkt angegriffen werden. Einzig im Rahmen der Individualanträge können Personen ohne anhängiges Verfahren Rechte einfordern; aber auch nur gegen konkrete Handlungen, sprich: Gesetze. Unklar ist, ob dieses Korsett weit genug ist, um die globale Bedrohung der Klimakrise einzufangen, oder ob der Verfassungsgerichtshof aus formalistischen Gründen der Frage nach unseren Rechten ausweicht. Das wird eine seiner nächsten Sessionen zeigen.

Die Klimaklage stellt somit dem Rechtssystem die Gretchenfrage, und letztlich stellt die gesamte Klimakrise unsere gelebte Demokratie auf die Probe. Die gerechte Gestaltung des nötigen sozial-ökologischen Umbaus betrifft nämlich uns alle. Nicht zuletzt der Aufstand der "Gelbwesten" lehrte, dass eine sozial unausgewogene Klimapolitik auf Widerstand stößt.

Frankreich zog daraus die Konsequenz und berief einen Klimabürgerrat ein: 150 zufällig geloste Menschen, die die französische Bevölkerung entlang der gesellschaftlichen Klassen, Alters- und Herkunftsstruktur abbildeten, erörterten über Wochen hinweg die Klimafrage und fassten Beschlüsse, die teils in ihrer Radikalität weit über bisherige politische Vorstöße hinausgehen. So sollen Inlandsflüge ab 2025 ebenso verboten sein wie Werbung für klimaschädliche Produkte. Außerdem soll "Ökozid" als neuer Straftatbestand für Unternehmen, die die Klimakrise weiter befeuern, geschaffen werden. Finanzieren soll diese ambitionierte Politik eine von Wohlhabenden zu tragende Klimasteuer. Noch diesen Herbst wird die französische Nationalversammlung darüber debattieren und hoffentlich einige Vorschläge übernehmen.

Mut mit Bürgern im Rücken

Einen Zwang zur Umsetzung gibt es nicht. Gewiss ist aber, dass Parlamente mit einem Bürgerrat im Rücken mutiger handeln. Mittlerweile holen sich immer mehr Volksvertretungen Rat aus dem Volk in Bezug auf die Klimapolitik, etwa Irland oder Großbritannien. Auch in Österreich gibt es erste Klimabürgerräte: Im Herbst 2019 diskutierte das Bundesland Salzburg in Zukunftsdialogen mit 60 per Zufall eingeladenen Bürgern, wie man klimaneutral und energieautonom werden könne.

An der ökologischen Frage wird sich auch die demokratische entscheiden: Wer, wenn nicht wir alle gemeinsam, sollte festsetzen, wie viel wir in Zukunft verbrauchen, produzieren, arbeiten und wie wir unsere Freizeit verbringen? Diese grundlegenden Fragen sind trotz tickender Klimauhr bisher unbeantwortet, weil der parteiübergreifende Konsens fehlt. Wir brauchen mehr Mut zur Demokratie durch Einbezug möglichst vieler Menschen. Sie und ihre Stimmen müssen ernst genommen werden - das gilt für die Anliegen des Klimavolksbegehrens und die Klimaklage und soll durch Beteiligungsformate wie einen österreichweiten Klimabürgerrat unterstrichen werden.