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Demokratie braucht starke Medien

Von Vera Jourová und Thierry Breton

Gastkommentare

Leser-, Zuhörer- und Zuschauerschaft haben ein Rekordhoch erreicht - doch die Umsätze sind so niedrig wie nie.


Wenn es den Medien nicht gut geht, trifft das auch unsere Demokratien. Nachdem die EU-Staats- und Regierungschefs im Sommer ein historisches Aufbaupaket zur Bewältigung der Krise beschlossen haben, gilt es nun, ein besonderes Augenmerk auf die Medien zu richten. Denn der dramatische Umsatzrückgang der Branche - in manchen Ländern bis zu 80 Prozent - stellt eine Gefahr für unsere Demokratien dar. Die Werte, die unsere Union ausmachen - Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte - dürfen nicht für selbstverständlich genommen werden. Wir müssen für sie kämpfen! So auch für die Freiheit der Medien und den Medienpluralismus, die durch den digitalen Wandel besonders unter Druck geraten sind.

Die Situation ist in der Tat paradox. Während Leser-, Zuhörer- und Zuschauerschaft ein Rekordhoch erreicht haben, sind die Umsätze aufgrund der Werbeeinbußen so niedrig wie nie. Zugleich sind Online-Nachrichten für fast die Hälfte der EU-Bürgerinnen und -Bürger zur Hauptinformationsquelle über die nationale und europäische Politik geworden. Die Verlagerung der Nachrichten ins Internet stellt viele Medienschaffende vor große Herausforderungen. Obwohl sich viele dem digitalen Wandel angepasst haben, sind lokale Medienunternehmen, die oft die größte Bürgernähe aufweisen, durch diese Entwicklung in besonderem Maße bedroht.

Digitale Technologien haben neue Formen des Informationszugangs und -austauschs ermöglicht, aber auch neue Risiken für die Meinungsfreiheit und den Pluralismus der Medien mit sich gebracht. Diese Risiken hängen vor allem mit der Torwächterfunktion von Online-Plattformen, ihrer Marktmacht, den riesigen Datenmengen und ihrem Anteil am Werbemarkt zusammen. Mehr als 50 Prozent des Online-Werbemarkts entfallen allein auf Facebook und Google.

Mit dem geplanten europäischen Rechtsakt für Dienstleistungen im Internet - dem Gesetz über digitale Dienste - sollen diese Probleme angepackt werden. Wir wollen eine Ex-ante-Regulierung vorschlagen, um die durch die Stellung großer Online-Plattformen entstandenen Marktdefizite besser anzugehen. Außerdem werden wir bestehende nationale Rechtsvorschriften zur Medienvielfalt und -konzentration daraufhin prüfen, ob und wie sie in digitalen Märkten Stimmenvielfalt gewährleisten können. Es ist elementar, dieser vom digitalen Wandel betroffenen Branche eine positive Perspektive und einen Weg in die Zukunft zu eröffnen.

Meinungsvielfalt bewahren

Die wirtschaftliche Situation der Medienbranche ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Vor noch nicht allzu langer Zeit wurde von den Medien mancher Länder in Europa nur eine Version der Geschichte erzählt - die, die den Machthabern in die Hände spielte. "Die Frage gleicht einem Messer, das die gemalte Leinwand eines Bühnenbildes zerschneidet, damit man sehen kann, was sich dahinter verbirgt", schrieb der französisch-tschechische Schriftsteller Milan Kundera. Meinungsfreiheit gab es nicht, Kritik war nicht erlaubt - das ist die Definition eines totalitären Regimes. Totalitäre Regime fürchten gut informierte Menschen. Meinungsvielfalt bedeutet breitere Debatten, bringt neue Ideen hervor und ist eine Quelle der Inspiration. Genau das brauchen wir, um uns als Gesellschaft weiterzuentwickeln.

Mit Beginn der Pandemie in China haben wir gesehen, dass Beschränkungen des freien Informationsflusses dramatische Folgen für die Gesundheit und den Schutz der Menschen haben. Mehr denn je hat die Krise gezeigt, dass Meinungsfreiheit, Informationszugang und Medienpluralismus Menschenleben retten können - und der beste Weg sind, Desinformation zu bekämpfen. Deshalb ist es höchste Zeit, die Anstrengungen zu verstärken und diese Rechte im Rahmen der Aufbaumaßnahmen zu schützen und zu stärken.

In der Tat gibt es noch viel zu tun. Das Bild, das der "Media Pluralism Monitor" - ein unabhängiger, von der EU mitfinanzierter Bericht - vermittelt, ist alles andere als rosig: Kein Land in Europa ist vor Bedrohungen für den Medienpluralismus gefeit. Journalistinnen und Journalisten sind verschiedensten Gefahren und Angriffen ausgesetzt - physisch, aber auch im Internet -, und ihre Arbeitsbedingungen haben sich weiter verschlechtert. Seit Jahresbeginn wurden mindestens 50 Journalistinnen und Journalisten sowie andere Medienschaffende angegriffen, die über Proteste in Europa berichteten.

Der Bericht macht außerdem deutlich, dass die Medien immer noch Gefahr laufen, unter politische Einflussnahme zu geraten, insbesondere wenn ihre wirtschaftliche Lage unsicher ist. Über die Vergabe staatlicher Werbeaufträge kann Druck ausgeübt werden, um sie mundtot zu machen und sie davon abzuhalten, unbequeme Fragen zu stellen.

Rechtsvorschriften anpassen

Schnelle Lösungen gibt es keine, aber die EU-Kommission drückt nun aufs Tempo. Wir fordern die Mitgliedstaaten auf, ihre Rechtsvorschriften dringend an die neuen europäischen Vorschriften für audiovisuelle Mediendienste anzupassen. Diese Vorschriften stärken die Unabhängigkeit der Medienregulierungsbehörden, sorgen für mehr Transparenz bei den Eigentumsverhältnissen im Medienbereich, fördern bei On-Demand-Diensten die europäischen Werke stärker und schützen die Bürgerinnen und Bürger - insbesondere Kinder - wirksam vor illegalen und schädlichen Inhalten, auch auf Video-Sharing-Plattformen.

Zudem werden wir zum Jahresende eine Reihe von Vorschlägen vorlegen, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte zu stärken. Ferner soll der Mediensektor Hilfe erhalten, damit er wieder auf die Beine kommen und den digitalen Wandel als Chance nutzen kann. Unser historischer Aufbauplan wird darüber hinaus die Wirtschaft ankurbeln und den Mediensektor - unter vollständiger Wahrung seiner Unabhängigkeit - unterstützen.

Allerdings kann die EU-Kommission diesen Kampf nicht allein gewinnen. Um voranzukommen, brauchen wir die Unterstützung von Regierungen, Politikerinnen und Politikern und Regulierungsbehörden in der EU. Alle müssen begreifen, dass freie und unabhängige Medien eine Schlüsselrolle spielen - eine Rolle, die die Sozialen Medien niemals werden übernehmen können. Pressefreiheit ist ein Recht, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten, sondern für uns alle. Deswegen verpflichten wir uns hier und heute, für freie und pluralistische Medien zu kämpfen.