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Neue EU-Politik gegenüber Belarus

Von Otmar Lahodynsky

Gastkommentare
Otmar Lahodynsky war bis 15. Februar Internationaler Präsident der Association of European Journalists (AEJ). Er war Redakteur beim Nahrichtenmagazin "profil".
© Ralph Manfreda

Nach der dringend nötigen Distanzierung von Lukaschenko sollte die EU nun zum Mediator werden.


Die EU-Staats- und Regierungschefs beraten bei ihrem Gipfeltreffen über Sanktionen gegen das Regime in Belarus. Die EU erkennt Langzeitdiktator Alexander Lukaschenko nicht länger als legitimen Präsidenten an. Die Wahlen am 9. August seien grob gefälscht worden, verkündete der EU-Außenbeauftragte Josep Borell am 15. September. Doch danach konnten sich die EU-Außenminister nicht auf Sanktionen einigen, weil Zypern Strafmaßnahmen auch gegen die Türkei forderte.

Es war höchste Zeit, dass die EU auf Distanz zu einem der letzten Diktatoren Europas ging. Lukaschenko hatte mit seinem kritischen Kurs gegenüber Moskau viele EU-Politiker geblendet und im Konflikt um die Ukraine lange Zeit geschickt die Vermittlerrolle eingenommen. Der "Minsker Prozess" brachte zwar keine dauerhafte Friedenslösung zwischen Russland und der Ukraine, verhinderte aber über Vermittlung der OSZE eine weitere Eskalation und schuf einen rechtlichen Rahmen für einen Dialog. In der Folge konnte sich Lukaschenko von der russischen Umklammerung teilweise lösen, blieb aber wirtschaftlich weiter abhängig. Fast die gesamte Energie bezieht Belarus vom großen Nachbarn, auch fast die Hälfte der weißrussischen Exporte gehen nach Russland.

Nach dem Aufflammen der Massenproteste suchte Lukaschenko schnell Wladimir Putins Beistand. Dieser gewährte ihm 1,5 Milliarden Euro Finanzhilfe und versprach auch militärische Hilfe.

Jetzt kann der Kreml über den geschwächten und auf Linie gebrachten Lukaschenko ungestört Belarus in den Zangengriff nehmen. So soll es Pläne geben, Steuerwesen und Außenhandel zusammenzulegen. Auch über eine gemeinsame Währung wird spekuliert. Russische Oligarchen haben es auf manche Staatsbetriebe in Belarus abgesehen. Lukaschenko könnte freilich bald wieder zur Last für den Kreml werden. Laut Experten ist es denkbar, dass er innerhalb eines Jahres fallen gelassen und durch einen neuen Politiker, dem Putin vertraut, ersetzt wird.

Die EU hat viel zu lange an ihm festgehalten. Einige EU-Länder konnten mit Belarus gute Geschäfte machen. So hat die teilstaatliche A1 Telekom Austria eine Tochterfirma gegründet, die dort zu den größten Mobilfunkanbietern gehört. Freilich drehte A1 auf Druck Lukaschenkos regelmäßig vor Demos den Internetzugang - und damit den Oppositionellen die Kommunikationskanäle - ab.

Nicht nur der besonders gewaltsame Einsatz der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten hat die EU zu Recht auf Distanz zu Lukaschenko gebracht. Es war auch die Verhaftung aller noch in Weißrussland verbliebenen Mitglieder des siebenköpfigen Koordinierungsrates der Opposition. Nur die Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch wurde bisher noch nicht verhaftet. Die 72-jährige Schriftstellerin und Journalistin wagt offene Kritik am Regime. Doch nun hat auch sie die Heimat verlassen, für einige Vorträge, meinte sie und kündigte eine Rückkehr nach Minsk an.

Vor zwei Wochen tourte Ex-Kulturminister Pawel Latuschko, der sich nach den Wahlen der Bürgerbewegung angeschlossen hatte und daraufhin als Theaterdirektor gefeuert worden war, durch mehrere EU-Länder. Seine klare Botschaft: "Recht und Verfassung existieren nicht mehr in Belarus." Von der EU erwarte er, sich für eine internationale Untersuchung des Wahlbetrugs einzusetzen, so Latuschko. Die EU könnte insgesamt ein Mediator für eine Demokratisierung des Landes sein. Doch dafür fehlen noch Einigkeit und ein Konzept.