Zum Hauptinhalt springen

Eine Politik für die Netto-Empfänger

Von Hanno Lorenz

Gastkommentare
Hanno Lorenz ist Ökonom bei der Denkfabrik Agenda Austria und forscht in den Bereichen Außenhandel, Armut und Verteilung, Wirtschaftsstandort und Digitalisierung.
© Markus Rössle

Der Hauptgewinner der jüngsten Lohnrunde ist - dank Kalter Progression - der Staat.


Mit dem stärksten Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg im Rücken starteten die Lohnverhandlungen der Metaller in einer äußerst schwierigen Situation. Umso bemerkenswerter, dass nach nur einer Verhandlungsrunde Einigkeit herrschte. Den Mitarbeitern wird die Inflation abgegolten, ein Plus von 1,45 Prozent. Netto bekommt ein Durchschnittsverdiener in der Metallverarbeitenden Industrie künftig um 1,1 Prozent mehr, während sich die Steuer- und Abgabenlast pro Monat um 1,9 Prozent erhöht.

Trotz mehrfach angekündigter Abschaffung treibt die Kalte Progression - eine schleichende Steuererhöhung, die dadurch entsteht, dass zwar die Löhne an die steigenden Preise angepasst werden, nicht jedoch die Tarifstufen - weiterhin ihr Unwesen. Dieses Problem wird sich in Zukunft weiter verstärken, bis eine Regierung kommt und wieder zur "größten Steuerreform aller Zeiten" aufruft - und das Spielchen von vorne losgeht.

Gemessen an den Arbeitskosten bleibt den Arbeitnehmern netto nur in drei EU-Ländern weniger als in Österreich. Die hohe Belastung des Faktors Arbeit steht exemplarisch für die Haltung der österreichischen Politik zu den Leistungsträgern unserer Gesellschaft: Man füttert sie von Zeit zu Zeit mit kleinen Entlastungen, die in Wahrheit nicht einmal die Kalte Progression zurückerstatten. Im Zentrum der politischen Bemühungen stehen nicht die Netto-Zahler, sondern die Netto-Empfänger, allen voran die Pensionisten.

Obwohl es eine gesetzliche Regelung gibt, wie die Kaufkraft der Pensionisten anzupassen ist, wird davon regelmäßig abgewichen. Im Krisenjahr 2020 erfolgt die Anpassung geringer Pensionen um das Doppelte der gesetzlichen Vorgabe. Aber wie meinte die ÖVP-Seniorensprecherin Ingrid Korosec so treffend: "Man muss das ausnutzen."

Natürlich kann man sich für die Pensionisten freuen. Nicht zu vergessen ist aber, dass diese bereits seit Jahren mehr ausgezahlt bekommen, als das System deckt. So beträgt das Loch zwischen Ein- und Auszahlungen mehr als 20 Milliarden Euro. Und das jedes Jahr. Zudem ist eine solche Anpassung während der Corona-Krise ein Schlag ins Gesicht für alle Menschen, die am Arbeitsmarkt aktiv sind und um ihre Jobs zittern. Durch steigende Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit sind die Einkommen für die meisten Menschen in diesem Jahr gesunken. Nur Pensionisten und Beamte tanzen hier aus der Reihe. Auch den Staatsdienern garantierte Vizekanzler Werner Kogler eine Lohnerhöhung.

Mehr Missachtung den Leistungsträgern unserer Gesellschaft gegenüber ist kaum möglich. Diese Gruppe würde sich eine nachhaltige Steuersenkung verdienen. Und damit uns der öffentliche Haushalt nicht um die Ohren fliegt, muss es auch eine Pensionsreform geben. Wir Menschen werden glücklicherweise immer älter. Wollen wir, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder etwas vom österreichischen Sozialstaat haben, dann müssen wir einen Teil dieser gewonnenen Lebenszeit auch am Arbeitsmarkt produktiv einbringen. Diese Reform weiter aufzuschieben, ist gefährlich.