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Eine Schule sozialpartnerschaftlicher Zusammenarbeit

Von Gerhard Poschacher

Gastkommentare

60 Jahre Landwirtschaftsgesetz - die Ziele sind heute noch so aktuell wie 1960.


Vor 60 Jahren wurde das Landwirtschaftsgesetz (LWG) einstimmig im Nationalrat beschlossen und 1995 in den EU-Rechtsbestand übernommen. Fast acht Jahre während der Amtszeit des steirischen Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Franz Thoma (1952 bis 1959) wurden mehr als zwei Dutzend Ministerialentwürfe für eine rechtliche Grundlage zur Ernährungssicherung und Förderung der bäuerlichen Familienbetriebe mit der SPÖ verhandelt. In der Schweiz gab es schon seit 1954 ein Landwirtschaftsgesetz, in Deutschland ab 1955. Die Erfahrungen in den Nachbarländern wurden von den österreichischen Experten, vor allem von Rudolf Leopold, Sektionschef im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft und Agrarpionier in zwei Republiken, sowie Ernst Brandstätter, von 1958 bis 1984 Generalsekretär in der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, in die Beratungen einbezogen.

In der Blütezeit der damals noch großen Koalition zwischen ÖVP und SPÖ mit fast 90 Prozent Wählerzuspruch überzeugte der niederösterreichische Bauernpolitiker Eduard Hartmann, Landwirtschaftsminister von 1959 bis 1964, mit dem Programm "Agrarpolitik geht alle an" die SPÖ und ihre Chefverhandler Josef Staribacher und Ernst Winkler. Hartmann war der erste Landwirtschaftsminister, der verstärkt wissenschaftliche Expertisen in seinen politischen Entscheidungen berücksichtigte und 1960 im Ressort auch das Agrarwirtschaftliche Institut (heute: Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen) einrichtete. Bauernbund und Landwirtschaftskammern forderten immer wieder, einen paritätischen Einkommensanspruch (Arbeitnehmer im Vergleich zu bäuerlichen Familien) ins LWG aufzunehmen, was die SPÖ entschieden ablehnte. Sie auch wenig Freude mit entsprechenden Einkommensvergleichen. Ihr Landwirtschaftssprecher Winkler (1956 bis 1966) würdigte in seiner Publikation "Agrarsozialismus Österreich" das Landwirtschaftsgesetz als Planungsinstrument für einen Neuausrichtung der Agrarpolitik, die Staribacher, von 1970 bis 1983 Handelsminister in den SPÖ-Alleinregierungen, mehrfach als "subventionierte Unvernunft" kritisiere.

Selbstversorgungund Marktordnung

Als am 13. Juli 1960 das Landwirtschaftsgesetz, bis heute Herzstück der österreichischen Agrarpolitik, in Kraft trat, war bereits die weitgehende Selbstversorgung bei wichtigen Produkten gegeben (Milch: 101 Prozent; Rindfleisch: 115 Prozent; Schweinefleisch: 93 Prozent; Brotgetreide: 78 Prozent; Kartoffeln: 96 Prozent). Marktwirtschaftliche Regelungen und Exportstrategien wurden notwendig. Die 1950 geschaffenen Getreide-, Milch- und Viehwirtschaftsfonds wurden 1958 unter Minister Franz Thoma zum Marktordnungsgesetz 1958 zusammen gefasst, das, dutzendfach novelliert, bis zum EU-Beitritt 1995 Erzeuger-und Verbraucherpreise sowie die Agrarmärkte regelte.

Landwirtschaftsgesetz und Marktordnung waren bis zur Integration der österreichischen Agrar-und Ernährungswirtschaft in den Europäischen Binnenmarkt die bedeutendsten rechtlichen Planungsinstrumente und Plattform für die politische Zusammenarbeit der roten und schwarzen Sozialpartner. Sie einigten sich 1992 auch als Vorbereitung für den EU-Beitritt und für die Neuordnung der Förderungs-und Marktpolitik auf die Einrichtung der Agrarmarkt Austria (AMA). Diese Institution hat sich seither als Drehscheibe für die Förderungsabwicklung, Kontrolle und Marketing in Zusammenarbeit mit dem Agrarressort, den Landwirtschaftskammern und Landesregierungen bewährt.

Das Landwirtschaftsgesetz, bis heute gültig, ist immer noch eine Schule der Sozialpartnerschaft. Eine Kommission (Paragraf 7 LWG) ist für die Mitarbeit an der Erstellung des "Grünen Berichts" eingerichtet, in der neben den Sozialpartnern auch Vertreter der in den Nationalrat gewählten Parteien und Experten mitarbeiten. Diese Kommission ist auch berechtigt, den jeweiligen Bundesministern Empfehlungen für die Gestaltung der Agrar-und Ernährungspolitik zu übermitteln. Die Ziele des Landwirtschaftsgesetzes sind heute so aktuell wie vor sechs Jahrzehnten und entsprechen auch den Bestimmungen der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP), wie sie im Artikel 40 der Römischen Verträge festgelegt sind und 1962 verbindlich beschlossen wurden. Die Zielbestimmungen im Landwirtschaftsgesetz (Paragraf 1) sind vor allem auf Ernährungssicherung, preisgünstige Versorgung der Bevölkerung, Förderung der bäuerlichen Familienbetriebe und Schutz der Lebensgrundlagen ausgerichtet.

Unterschiedliche Einkommensentwicklung

Das Landwirtschaftsgesetz verpflichtet den jeweiligen Minister jährlich bis 15. September der Bundesregierung eine umfassende, nach Produktionsgebieten und Betriebsformen sowie unter besonderer Berücksichtigung der Bergbauern umfassende Einkommensanalysen ("Grüner Bericht") sowie die daraus abzuleitenden Förderungsmaßnahmen ("Grüner Plan") gemäß Paragraf 9 vorzulegen. Der "Grüne Bericht" mit den entsprechenden Förderungsmaßnahmen wird dem Nationalrat zur Beratung weiter geleitet. Für den aktuellen "Agrarbericht über die wirtschaftliche und soziale Lage der Land- und Forstwirtschaft 2019", den 61. seit 1959, wurden die freiwilligen Buchführungsergebnisse von 1926 bäuerlichen Familienbetrieben ausgewertet. Die Einkommensergebnisse sind auch für das EU-Buchführungsnetz zur Verfügung zu stellen.

2019 betrugen die durchschnittlichen Einkünfte je Betrieb (Ertrag minus Aufwand, ohne Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge und Einkommenssteuer) aus der Land- und Forstwirtschaft im Bundesdurchschnitt 27.966 Euro und blieben gegenüber 2018 fast unverändert. Während die Veredlungsbetriebe mit durchschnittlich 65.573 Euro (plus 49 Prozent) einen deutlichen Zuwachs gegenüber 2018 durch die gute Entwicklung auf den Schweinemärkten verzeichnen konnten, mussten die Dauerkulturbetriebe mit 22.450 Euro (minus 31 Prozent) einen herben Verlust hinnehmen. Die Futterbaubetriebe schnitten mit durchschnittlichen Einkünften von 23.747 Euro ebenfalls schlechter ab, was vor allem auf die große Trockenheit zurückzuführen ist. Die landwirtschaftlichen Gemischtbetriebe (unter anderem mit Direktvermarktung, Heuriger, Urlaub am Bauernhof) erwirtschafteten mit rund 34.500 Euro um 9 Prozent bessere Einkünfte als 2018. Für die Biobetriebe wurden durchschnittliche Einkünfte von 27.000 Euro (minus 10 Prozent) ermittelt.

Die Förderungsmaßnahmen umfassen vor allem die Marktordnungsausgaben (Erste Säule der GAP) und das Ländliche Entwicklungsprogramm mit der Ausgleichszulage im Berggebiet und Umweltzahlungen. Vom ländlichen Entwicklungsprogramm profitieren jährlich rund 100.000 bäuerliche Betriebe. Nach der Einigung auf das EU-Budget ist die Finanzierung bis 2027 gesichert. Von 2014 bis 2020 stehen 3,937 Milliarden Euro zur Verfügung. Das Landwirtschaftsgesetz hat auch als Vorbereitung für die Integration des Förderungssystems in die GAP ein geordnetes Verhältnis zwischen Bund und Ländern geschaffen und regelt im Verhältnis 60 zu 40 Prozent die Bereitstellung nationaler Förderungsmittel und auch die Mitfinanzierung öffentlicher Gelder aus dem EU-Haushalt.

Den freiwilligen Buchführern in allen Bundesländern und Produktionsgebieten ist für die Bereitstellung ihrer Betriebsergebnisse zu danken, weil dadurch wichtige Entscheidungsgrundlagen für die Gestaltung der Land-und Forstwirtschaftspolitik herangezogen werden können. Der "Grüne Bericht" hat nicht nur für agrarpolitische Entscheidungen große Bedeutung, sondern dient auch als wertvolle Informationsquelle über die Agrar-und Ernährungspolitik Österreichs für internationale Organisationen (EU, OECD, WTO, FAO) und als Grundlage für Planungsaufgaben in einschlägigen Industrie-und Gewerbebetrieben.

Die Einkommensergebnisse sind auch für die Festsetzung von Pauschalierungssätzen durch das Bundesministerium für Finanzen wichtig, ebenso als Information für die Bauernpensionsversicherung. Die Betriebsführer verwenden ihre Buchführungsergebnisse für die Beurteilung ihrer eigenen wirtschaftlichen Lage. Der "Grüne Bericht" ist auch innerhalb der EU ein vorzügliches Dokument über die Entwicklung der heimischen Land-und Forstwirtschaft, die Bedeutung der bäuerlichen Arbeit für die Umwelt, Erhaltung der Kulturlandschaft, Artenvielfalt und Biodiversität.

1958 wurde aus Anlass der Gründung der damaligen EWG der bäuerliche Familienbetrieb als bis heute gültiges agrarpolitisches Leitbild und seine Bedeutung für funktionsfähige ländliche Räume definiert. Landwirtschaftsminister Josef Riegler stellte 1988 mit dem "Ökosozialem Agrarmanifest" das bäuerliche Familienunternehmen (ökonomisch. Ökologisch, sozial, wettbewerbsfähig) in den Mittelpunkt einer nachhaltigen und umweltorientierten Förderungspolitik für die Land- und Forstwirtschaft.

Ein Strategieplanfür den ländlichen Raum

In einer aktuellen Empfehlung der Agrarkommission an Bundesministerin Elisabeth Köstinger wird für die GAP nach 2020 ein Strategieplan gefordert, der nicht nur den bäuerlichen Familien, sondern allen Menschen im ländlichen Raum "einen bestmöglichen Zugang zu Förderungsmöglichkeiten garantieren soll".

Als das Landwirtschaftsgesetz 1960 beschlossen wurde, waren für die Ernährungssicherung und Kulturlandschaft etwa 432.850 Betriebe (85 Prozent unter 20 Hektar) verantwortlich. Sie bewirtschafteten mehr als 4 Millionen Hektar Landwirtschaftliche Nutzfläche. Aktuell gibt es derzeit in Österreich etwa 160.000 Betriebe (57 Prozent kleiner als 20 Hektar), mit 2,67 Millionen Hektar bewirtschaften. In den 1950ern dominierte der Haupterwerbsbetrieb, heute ist die Nebenerwerbslandwirtschaft die wichtigste Erwerbsform. Der zunehmende Verlust wertvoller Flächen für die Ernährungssicherung stellt für die Agrarpolitik eine besondere Herausforderung dar. Für die Ernährungs-und Versorgungssicherung, Kulturlandschaft und Umwelt sind neben dem Landwirtschaftsgesetz auch das Forstgesetz 1975 und wasserwirtschaftliche Regelungen von großer Bedeutung.

Die 1959 von Bundesminister Thoma eingeführte Kreditaktion für Agrarinvestitionen mit der Bereitstellung von Zinsenzuschüssen aus dem Budget hat zusammen mit den anderen Maßnahmen auf der Grundlage des Landwirtschaftsgesetzes sowie die Marktordnungen wesentlich zur Rationalisierung der Betriebe, die Bewältigung des Strukturwandels und den Produktivitätsfortschritt in der tierischen und pflanzlichen Produktion beigetragen. Wurden im Jahre 1960 im Durchschnitt Weizenerträge von 2,5 Tonnen je Hektar erzielt, sind es derzeit etwa 4,8 Tonnen. Die Milchleistung je Kuh und Jahr stieg um das mehr als Dreifache von 2,5 Tonnen auf mehr als 7,1 Tonnen.