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Genossenschaften sind mehr als Kooperation

Von Holger Blisse

Gastkommentare
Holger Blisse ist Wirtschafts- und Sozialanalytiker und unter anderem auf kreditwirtschaftliche, genossenschaftliche und sozial-politische Themen spezialisiert.
© privat

Kooperatives Wirtschaften liegt im Trend - zu welchen Bedingungen?


Am 20. Oktober hätte an der WU Wien der (abgesagte) Tag der Genossenschaften unter dem Titel "Kooperatives Wirtschaften im Trend der Zeit" stattfinden sollen. Die Vereinten Nationen (UNO) erklärten 1995 den ersten Samstag im Juli zum "Internationalen Tag der Genossenschaften". Historisch geht ein solcher Tag zurück auf den Internationalen Genossenschaftsbund (IGB), der seit 1923 an diesem Tag auf die wirtschaftliche und soziale Bedeutung von Genossenschaften hinweist. Der IGB ist eine internationale Interessenvertretung. Er wurde 1895 in London gegründet und hat starke Bezüge zu den Konsumgenossenschaften, deren bis heute wirksamste Anfänge auf die Rochdale Equitable Pioneers Society (1844) zurückgehen.

Konsumgenossenschaften haben an Bedeutung verloren, nachdem der Konsum Österreich (1995) und die deutsche Coop AG (1989) mit einem Ausgleich beziehungsweise Vergleich einen Konkurs abwenden konnten. Anders in Finnland, Italien oder der Schweiz. Im westlichen Nachbarland zum Beispiel sind zwei große Lebensmitteldetailhändler als Genossenschaften organisiert: Coop (mehr als 2,5 Millionen Mitglieder) und Migros (2,2 Millionen). Sehr vitale Genossenschaften gibt es in Österreich bei den Kreditgenossenschaften, in der Landwirtschaft, etwa Molkereien oder Lagerhäuser, und in der Wohnungswirtschaft mit eigenen Revisionsverbänden. In vielen Bereichen von Dienstleistungen, Handel und Gewerbe sind Genossenschaften anzutreffen oder bilden sich aktuell neu. Es gibt mit dem Verband Rückenwind eine Bewegung gemeinnütziger Genossenschaften. Der frühere Konsumverband arbeitet - offen für Genossenschaft(sgründung)en anderer Sparten - inzwischen als CoopVerband. Alle zusammen dürften es etwa 1.800 Genossenschaften mit mehr als drei Millionen Mitgliedern sein. Dies unterstreicht die Aussage, dass "kooperatives Wirtschaften im Trend der Zeit" liege.

Skepsis kommt jedoch auf, wenn Kooperationen dazu dienen, in einem zunehmenden Wettbewerb zu bestehen. Dann wird Kooperation zu strategischem Verhalten, die Zusammensetzung kann sich schnell verändern. Dies geht umso eher, je flexibler die Beziehungen gestaltet sind, und strahlt in andere Bereiche aus. Eine Kooperation zwischen Dienstnehmer und Dienstgeber tendiert so zu kürzeren Vertragslaufzeiten beziehungsweise Kündigungsregelungen.

Genossenschaften halfen ursprünglich, eine Notlage zu überwinden, sie waren auf lange Frist angelegt. Doch je mehr sie sich anderen Unternehmen anglichen, wurden sie zu Wettbewerbern, die kooperieren, andere übernehmen, übernommen werden oder untergehen. Während die Gründung einer Genossenschaft kein Ablaufdatum trägt, weist "Kooperation" darauf hin, dass mit einem Ende zu rechnen ist, sollte ein Partner eine für sich bessere und mit der bestehenden nicht verträgliche neue Kooperation eingehen. So stehen die Institution, der dieser Tag gewidmet gewesen wäre, und dessen Motto in einem Spannungsverhältnis: Genossenschaften brauchen Kooperation, um zu entstehen und fortzubestehen - doch nicht jede Kooperation trägt die Kraft in sich, eine Genossenschaft zu werden und als solche Generationen zu überdauern.