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Die Pandemie geht in die zweite Runde

Von Martin Sprenger

Gastkommentare
Martin Sprenger ist Arzt und Gesundheitswissenschafter in Graz.
© www.christianjungwirth.com

Es gilt immer auf die Verhältnismäßigkeit aller Maßnahmen zu achten.


Eine Pandemie ist ein gesamtgesellschaftliches Ereignis. Sie betrifft alle Bereiche unserer Gesellschaft, alle Altersgruppen, den Gesundheits- und Bildungsbereich, die Wirtschaft, den Tourismus, die Kultur, den Sport und noch vieles mehr. In einer Pandemie braucht es klare Ziele, etwa in Bezug auf das Erkrankungs- aber auch Sterbegeschehen. Diese müssen spezifisch, messbar und mit einem Zeithorizont versehen sein. Es braucht aber auch klare Strategien und wissensbasierte Maßnahmen.

Voriges Jahr um diese Zeit tauschten täglich Hunderttausende in Ordinationen und Ambulanzen ihre Viren und Bakterien aus. Unzählige gingen krank zur Arbeit oder auf Veranstaltungen, waren auf Besuch bei hochbetagten Menschen. Wir haben einen aufmerksameren Umgang mit Infektionskrankheiten gelernt. Im professionellen wie im privaten Bereich. Diese neue Achtsamkeit ist, neben der Vermeidung von Superspreader-Events, die wahrscheinlich wichtigste Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie.

Es braucht aber auch eine effektive Strategie zum Schutz der Hochrisikogruppen. Wir wissen, dass hochbetagte und gebrechliche Menschen das höchste Erkrankungs- und Sterberisiko haben. Pflegeheime, mobile Dienste und pflegenden Angehörigen brauchen Unterstützung, um gut über den Winter zu kommen. Sie brauchen aber auch Rechtssicherheit. Trotz aller Bemühungen kann es immer zu Infektionen kommen.

Keine Gesellschaft kommt ohne Schaden durch eine Pandemie. Der Schaden, der durch die Unter- und Fehlversorgung anderer Erkrankungen entsteht, aber auch der gesundheitliche, mentale, soziale und ökonomische Schaden aufgrund der Maßnahmen darf nicht größer sein als der Nutzen der Minimierung des direkten Schadens von Sars-CoV-2. Es gilt immer auf die Verhältnismäßigkeit aller Maßnahmen zu achten. Es gilt aber auch ethische Prinzipien, wie das Recht auf Selbstbestimmung, einzuhalten und alle Ziele, Strategien und Maßnahmen der Bevölkerung korrekt zu kommunizieren.

Dies gilt etwa auch fürs offizielle Dashboard, das ein vollkommen verzerrtes Bild des Infektionsgeschehens zeigt. Ein PCR-Test allein genügt nicht für die Definition einer Erkrankung oder Todesursache. Dafür gibt es medizinisch-diagnostische Standards, die auch in einer Pandemie eingehalten werden müssen. Es braucht ein klares Bekenntnis zu einer offenen gesamtgesellschaftlichen Debatte, zur Transparenz von mit öffentlichen Geldern erhobenen Daten, Publikationen und Studien, zu Begleit- und Versorgungsforschung, um noch offene Fragen zu klären und für ein besseres Verständnis des pandemischen Geschehens.

Eine Pandemie vergrößert immer die gesundheitliche und soziale Ungleichheit. Ärmere sind sowohl direkt als auch indirekt stärker betroffen als Reichere. Die Verwerfungen in unserer Gesellschaft haben direkte Auswirkungen auf die soziale Sicherheit. Diese wiederum garantiert unseren sozialen Frieden. Es gibt viele konstruktive und solidarische Kräfte in Österreich. Es gibt viele Menschen, die etwas beitragen, sich engagieren wollen. Wir kommen nur gemeinsam durch diese Pandemie. Wir können unsere soziale Sicherheit und unseren sozialen Frieden nur gemeinsam erhalten.