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Wahlumfragen machen selbst Meinung

Von Katharina Braun

Gastkommentare

Könnte eine Beschränkung demoskopischer Prognosen vor Wahlen zu einer weniger verzerrten Wählerwirklichkeit beitragen?


Am 3. November erfolgt die Wahl des US-Präsidenten. Laut dem Umfrageaggregator "FiveThirtyEight" liegt der demokratische Herausforderer Joe Biden vorne. Aktuell sagt "FiveThirtyEight" 193 Wahlmänner für Donald Trump und 344 für Biden voraus. Nun, man wird sehen, was von dieser Prognose zu halten ist. Vor der US-Wahl 2016 räumten die Demoskopen von "FiveThirtyEight" noch zu Beginn des Wahlabends Hillary Clinton eine Siegchance von 78 Prozent gegenüber 24 Prozent für Trump ein. Wie die Wahl letztlich ausging, ist bekannt. In der Vergangenheit irrten Wahlprognosen also immer wieder, so etwa auch beim Brexit-Referendum oder bei der Wien-Wahl 2015. Damals wurde ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Michael Häupl und HC Strache vorausgesagt - die SPÖ konnte dieses Duell mit doch deutlichem Vorsprung für sich entscheiden.

Die Gründe, warum Umfragen beziehungsweise Prognosen irren, sind vielfältig. Zum einen liegt die Ursache in der solchen Umfragen immanenten Fehlertoleranz von ein paar Prozentpunkten nach oben und unten sowie im Umstand, dass es sich bei den Befragungen um Momentaufnahmen handelt. In den USA kommt hinzu, dass die Wahl zum Präsidenten letztlich nicht von der Stimmenmehrheit, sondern von der Mehrheit der gewonnenen Wahlmänner abhängt. Zudem ist das Ergebnis einer Umfrage abhängig von der Gestaltung der Umfrage selbst, also von der jeweils verwendeten Auswertungsmethode, der Art der Durchführung der Umfrage (online oder telefonisch), der Auswahl und Anzahl der Befragten etc.

Umfrage selbst hat Einflussauf das Wahlverhalten

Abgesehen davon, dass also eine Abweichung des Umfrageergebnisses vom tatsächlichen Wählerverhalten wohl nie ganz ausgeschlossen werden wird können, ist bereits wissenschaftlich bestätigt, dass eine Umfrage selbst Einfluss auf das Wählerverhalten hat, wobei sich die Experten wiederum über den Grad der Beeinflussung uneinig sind. Eine Studie, in der die kanadischen Wahlen von 1988 untersucht wurden, kam zu dem Ergebnis, dass Wähler sich tendenziell von Parteien abwenden, die in Umfragen schwach abschneiden. Den umgekehrten Effekt konnte die Studie jedoch nicht beobachten: Wähler wenden sich Parteien nicht deshalb eher zu, weil diese in Umfragen gut abschneiden. Eine Studie aus dem Jahr 2015 zu dänischen Wahlen kam wiederum zu dem Ergebnis, dass Wähler sich eher Parteien anschließen, die in Umfragen erfolgreich sind, und sich von Parteien abwenden, die in Umfragen schlecht dastehen.

Wahlprognosen werden unter anderem von Medien, aber auch Parteien in Auftrag gegeben. Die demoskopischen Erkenntnisse dienen sodann der Ausrichtung der Wahlkampfgestaltung. Während es in Österreich in der breiten öffentlichen Wahrnehmung kein Rütteln an der unbeschränkten Zulässigkeit der Durchführung von Wahlumfragen zu geben scheint, ist dies anderswo anders geregelt. In einer Vielzahl an Ländern ist es untersagt, die Umfragen zu Wahlprognosen oder zum Wahlverhalten unmittelbar vor einer Wahl zu veröffentlichen.

So kennen etwa Griechenland, Italien und die Slowakei eine zweiwöchige Sperrfrist für Wahlprognosen. Bulgarien, Frankreich, Kroatien, Malta, Polen haben immerhin zwei Tage Sperrfrist und Deutschland einen Tag. Honduras dürfte das Land mit der längsten Sperrfrist (30 Tage) sein. Singapur, wo die Dauer der offiziellen Wahl allerdings relativ kurz ist, verbietet die Veröffentlichung von Umfrageergebnissen sogar für die gesamte Dauer der Wahl.

Aber auch in Österreich hat man sich mit dem Thema Wahlprognosen und deren Einfluss auf das Wahlverhalten schon zumindest grundsätzlich beschäftigt. So wurde im Jahr 2002 eine Enquete-Kommission eingerichtet, die sich mit der Beeinflussung von Wahlkämpfen beziehungsweise Wahlergebnissen durch die Veröffentlichung von Meinungsumfragen unmittelbar vor Wahlen beziehungsweise durch die Bekanntgabe von Teilwahlergebnissen vor dem amtlichen Wahlende befasst hat.

Besser qualitätsvoller informieren als schweigen

Das Institute for Social Research and Analysis (Sora) ortet es in diesem Bericht als problematisch, dass in den Medien meist nur die hochgerechneten Daten und nicht die Rohdaten der Umfrage veröffentlicht werden. Hierin erblickt Sora das größte Risiko einer bewussten Manipulation der Wählerschaft durch Umfragen. Zudem würden telefonisch durchgeführte Umfragen (die sogenannten TED-Umfragen) praktisch nie den Beweis erbringen, dass die Ergebnisse repräsentativ für die angestrebte Zielgruppe (Grundgesamtheit) sind.

Die Expertise der Mitglieder der Enquete-Kommission zeigt kein einheitliches Bild. Als Argument gegen die (zeitliche) Beschränkung von Umfragen führen einige ins Treffen, dass dies eine unzulässige Beschneidung der Meinungs- und Informationsfreiheit darstellen würde und besser qualitätsvoller informiert als geschwiegen werden solle. Angesichts der technischen Möglichkeiten dürfte es auch unmöglich sein, die Veröffentlichung von Meinungsumfragen ganz einzudämmen. So sind mittlerweile Internet-Wahlbörsen wie www.wahlfieber.at beliebt.

Qualitätserfordernisse der politischen Umfragen erhöhen

Weitgehend einig waren sich die Experten der Enquete-Kommission jedoch, dass die Qualitätserfordernisse der politischen Umfragen erhöht werden müssen. Es sollten also gleichzeitig mit dem Ergebnis der Meinungsumfrage auch gewisse Basisinformationen die Umfrage selbst betreffend veröffentlich werden (zum Beispiel die Größe der Stichprobe oder die Methode der Stichprobenziehung).

In ihrem "International Code of Practice for the Publication of Public Opinion Polls", dem verbindlichen Kodex über die Veröffentlichung von Wahlprognosen, der vom Europarat überprüft und gutgeheißen wurde, haben der Verein Esomar (European Society for Opinion and Market Research), der Europarat, die Wapor (World Association for Public Opinion Research) sowie der ICC (International Chamber of Commerce) detailliert alle Pflichten aufgelistet, die Umfragen durchführende Institute sowie die Massenmedien und andere Auftraggeber zu beachten haben.

Auch Wahlprognosen sollten also nicht in Stein gemeißelt sein und sehr wohl zumindest in ihrer unbeschränkten Zulässigkeit hinterfragt werden.