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"Wünsch dir was!"-Strategie und vier Corona-Paradoxe

Von Sabine M. Fischer

Gastkommentare
Sabine M. Fischer, Inhaberin von Symfony Consulting, ist Wirtschaftspädagogin, Human-Factor-Unternehmensberaterin und Sprecherin des AK Industrie 4.0/IoT in Wien.
© Symfony/Klaus Prokop

Wenn Bürger Eigenverantwortung übernehmen, kommt nicht immer heraus, was Politiker wollen.


Erfolgreiche Politiker sind routinierte Mobilisierungssieger: Wahlen gewinnt, wer mehr Menschen zum Wählen motivieren kann. Die Höhe der Wahlbeteiligung ist sekundär, es gibt immer einen gefeierten Sieger, auch wenn die größte Gruppe die der Nicht-Wähler ist. Ebenfalls unwichtig sind konkrete Inhalte im Wahlkampf: Je weniger sich ein Kandidat festlegt, je allgemeiner er in seinen Ausführungen bleibt, desto eher gewinnt er Mehrheiten. Denn in der Unbestimmtheit der Inhalte kann jeder Wähler seine Wünsche "verwirklicht" sehen. Im angloamerikanischen Raum perfektionierte Cambridge Analytica die Möglichkeit, diese persönlichen Wunschkonzerte in maßgeschneiderte Social-Media-Kommunikation zu gießen.

Die Pandemie legt die Tücke dieser "Wünsch dir was!"-Strategien vollkommen bloß: Empirisch belegt ist die Kultur der Vereinzelung von Realitätsdeutungen eine ungeeignete Methode zur Bekämpfung einer von allen an alle übertragbaren gefährlichen Viruserkrankung. "Eigenverantwortung" und "Babyelefant" ließen von Anfang an viel unnötigen Interpretationsspielraum hinsichtlich Größe und Notwendigkeit. Verstärkt durch unterschiedliche wissenschaftliche Erkenntnisse pflegen Politiker bis heute vielfach eine "Hü-Hott"-Kommunikation mit den Bürgern, am deutlichsten ersichtlich bei der Handhabung der vierfarbigen Corona-Ampel.

Ein Dreivierteljahr nach Ausbruch der Pandemie in Österreich scheinen sich Politiker noch immer darüber zu wundern, dass Menschen, die weder so viel Unterstützungsinfrastruktur wie sie selbst als Entscheidungsträger zur Verfügung haben, noch über eine ebensolche wirtschaftliche Existenzsicherung verfügen, nun Eigenverantwortung tatsächlich wahrnehmen, sich selbst einen Reim auf alles machen und sich entsprechend ihren individuellen Einschätzungen und damit nicht generell regelkonform verhalten.

Die Verbreitung von Covid-19 kann aber nur eine gemeinsam konsequent umgesetzte Vorgangsweise unterbinden. Doch so wie viele von widersprüchlicher, undurchsichtiger Wahlkampfrhetorik abgestoßen werden und Wahlen fernbleiben, wenden sich jetzt viele verwirrt und entnervt von Politikervorgaben ab und gefährden damit die eigene Gesundheit und die anderer und unser aller wirtschaftliches Überleben. Damit ist der nebulose Politikersprech, der ein Wohlfühlprogramm für jedermann verspricht, an unsere existenzielle Grenze gekommen. Drei Corona-Paradoxe wurden bereits viel diskutiert:

Der Schutz des Lebens gefährdet, wofür es sich zu leben lohnt.

Je wirksamer Maßnahmen sind, desto überflüssiger erscheinen sie.

Es herrscht Gleichheit aller vor dem Virus bei Ungleichheit vor seinen Auswirkungen.

Ein viertes lässt sich hinzufügen:

Mobilisierungssieger führen in die Untätigkeit.

Politiker, die wegen ihrer Unklarheit und Unverbindlichkeit gewählt worden sind, müssen eindeutige und klare Aktionen finden, damit eine qualifizierte Mehrheit der Bevölkerung eine Verbindlichkeit zum Mittun empfindet. Eine steilere Lernkurve dabei wäre wünschenswert.