Zum Hauptinhalt springen

Ein unfreiwilliger Kompromiss

Von Ralph Schöllhammer

Gastkommentare
Ralph Schöllhammer ist Assistenzprofessor für Volkswirtschaftslehre und Internationale Beziehungen an der Webster Privatuniversität Wien (Twitter: @raphfel).
© privat

Es gibt auch Positives zur turbulenten US-Wahl zu berichten.


Ein guter Kompromiss ist, wenn beide Seiten gleich enttäuscht oder gleich zufrieden sind. Die turbulente US-Wahl könnte genau diese Konditionen erfüllen. Trotz der aufgeheizten politischen Stimmung gibt es auch Positives zu berichten. Die Wahlbeteiligung ist die höchste seit 1900, in absoluten Zahlen sogar die höchste in der US-Geschichte, was zum Kuriosum geführt hat, dass sowohl Joe Biden als auch Donald Trump mehr Nettostimmen erringen konnten als Barack Obama 2012. Die Wahlbeteiligung war besonders bei Minderheiten groß, die aber gleichzeitig weniger als zuvor als Block gewählt haben, was bedeutet, dass ethnische Differenzen vielleicht doch nicht unüberwindbar sind. Und es sind bei den gleichzeitig stattfindenden Kongresswahlen noch nie so viele Frauen und Angehörige von Minderheiten angetreten - und zwar auf beiden Seiten.

Biden wird die Wahl voraussichtlich mit einer ähnlichen Wahlmänneranzahl gewinnen wie Trump 2016. Ein großer Erfolg mit Wermutstropfen: Die Demokraten hatten gehofft, mit einem absoluten Blow-out die Post-Trump-Ära einzuläuten. Außerdem wurde das erwartete Ziel, den Kongress zurückzuerobern, wahrscheinlich verfehlt. Im Senat werden die Republikaner vermutlich eine hauchdünne Mehrheit halten, und im Repräsentantenhaus haben die Demokraten Sitze verloren - was laut Umfragen eigentlich unmöglich hätte sein sollen. Besonders progressive Kandidaten konnten nur in bereits tiefblauen Distrikten punkten, in allen anderen unterlagen sie. Das ist übrigens keine Lappalie: Seit 1884 hatte jeder demokratische Präsident in der ersten Amtsperiode eine Mehrheit im Kongress, was beim Umsetzen von Wahlversprechen praktisch eine Grundvoraussetzung ist.

Es bedeutet auch, dass Bidens größtes Asset sein Charakter und Auftreten als Zentrist war. Im Bundesstaat Maine etwa hat er mit 8 Prozent Vorsprung gewonnen - aber die republikanische Senatorin konnte ihr Amt verteidigen. Das bedeutet, dass eine nicht geringe Anzahl von Wählern für Biden stimmte, aber gleichzeitig im Kongress die Republikaner wählte. Ein geleaktes Telefonat der demokratischen Parteispitze zeigt, dass man diese Entwicklung äußerst besorgt wahrnimmt und vor einem weiteren Linksruck der Partei warnt.

Aber natürlich haben auch die Republikaner keinen Grund zum Jubeln - trotz einer (wahrscheinlichen) Vereidigung des Senats haben sie das Präsidentenamt klar verloren. Und selbst die steigende Popularität bei Minderheiten konnte nicht verhindern, dass diese immer noch mehrheitlich den Demokraten vertrauen. Die Emanzipation von Trump wird schwierig werden - einerseits hat er wenig Rückhalt bei den Parteigranden, aber gleichzeitig eine fanatische Basis. Das sind die Zutaten, um eine Partei zu zerreißen.

Was bedeutet das für Biden? Er könnte nun tatsächlich der richtige Mann für den Job sein - ein Fixpunkt im Senat seit 47 Jahren, der beide Seiten gut kennt und auch persönlich mit vielen Republikanern freundschaftlich verbunden ist. Eine knappe republikanische Mehrheit im Senat kann ihm dabei als Schutzschild gegen radikalere Forderungen des eigenen linken Parteiflügels dienen. Washington könnte zu einer gewissen Ruhe kommen bis zu den Midterms 2022.