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Die Glaubwürdigkeit der EU steht auf dem Spiel

Von Otmar Lahodynsky

Gastkommentare
Otmar Lahodynsky war bis 15. Februar Internationaler Präsident der Association of European Journalists (AEJ). Er war Redakteur beim Nahrichtenmagazin "profil".
© Ralph Manfreda

Im Budgetstreit mit Polen und Ungarn darf die EU nicht nachgeben.


Im Juli erfolgte nach Marathon-Verhandlungen in Brüssel die Einigung auf den siebenjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 und das Corona-Hilfspaket - insgesamt fast 2 Billionen Euro. Es war ein typischer Kompromiss bei einem EU-Gipfeltreffen: Jeder Regierungschef konnte sich daheim als Sieger präsentieren. Jene aus Polen und Ungarn ließen sich dafür feiern, eine Verbindung der EU-Förderungen mit der Rechtsstaatlichkeit abgewehrt zu haben. In der Folge wurde diese Klausel aber von den anderen EU-Staaten mit deutlicher Mehrheit eingeführt.

Die Regierungen in Warschau und Budapest legten daraufhin ihr Veto gegen den EU-Haushalt ein, bei dem Einstimmigkeit erforderlich ist. Polens Premierminister Mateusz Morawiecki wetterte gegen einen "Angriff auf die Souveränität Polens" und erklärte, die polnische Wirtschaft sei so stark, dass sie auf die Förderungen aus Brüssel (immerhin mehr als 12 Milliarden Euro netto jedes Jahr) gar nicht angewiesen sei. Sogar ein EU-Austritt wurde in Erwägung gezogen. Noch unverfrorener argumentierte Ungarns Premierminister Viktor Orbán: Die EU agiere wie einst die Sowjetunion. Sie wolle Ungarn erpressen, um die Aufnahme von Flüchtlingen zu erzwingen. Obendrein sei Rechtsstaatlichkeit nirgends genau festgelegt worden.

In Wahrheit wurde diese in den EU-Verträgen verankert. Bereits in den Kopenhagener Kriterien 1993 wurden Bedingungen für den EU-Beitritt festgelegt: institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte sowie Schutz von Minderheiten.

Die EU-Kommission hat zu lange bei den Handlungen der Rechtspopulisten in Polen, Ungarn und weiteren Ländern weggeschaut. Vereinzelte Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags wirkten nicht abschreckend, weil Sanktionen unterblieben. Aber jetzt stehen die Grundprinzipien der EU, allen voran die Rechtsstaatlichkeit, auf dem Prüfstand. Wenn die EU zum ersten Mal gemeinsam Milliarden Euro für die Nothilfe gegen die Corona-Pandemie aufnimmt, muss gesichert sein, dass diese Gelder auch korrekt ausgegeben werden. Das ist die EU auch den Steuerzahlern schuldig.

In Ungarn haben Vertraute von Orbán und seine Familie - vor allem über Agrarsubventionen - viel von den jährlich mehr als
5 Milliarden Euro an Fördergeld aus Brüssel kassiert. Kritische Medien wurden auf Linie gebracht oder geschlossen. Auch der Wissenschaftssektor und kulturelle Einrichtungen fielen unter Kontrolle der Regierung. In Polen wurde die Unabhängigkeit der Justiz mehrfach gefährlich ausgehöhlt. Gegen Homosexuelle wurden in manchen Städten sogar eigene "LGTB-freie Zonen" eingerichtet. Und zuletzt wurde - auch mit Unterstützung der katholischen Kirche - ein generelles Verbot von Abtreibungen mit nur noch wenigen Ausnahmen verhängt.

Die Rechtsstaatlichkeit und die europäischen Grundwerte muss die EU auch aus einem anderen Grunde stärker schützen als bisher: Wenn diese innerhalb der EU folgenlos verletzt werden, wie kann man dann Beitrittskandidaten zur Einhaltung dieser Werte verpflichten? Die Glaubwürdigkeit der EU als globaler Akteur steht auf dem Spiel.