Zum Hauptinhalt springen

Wie weit darf Satire gehen?

Von Alexander Warzilek

Gastkommentare

Religiöse Karikaturen betreffen westlich-demokratische Grundwerte.


Keine vier Tage vor dem Anschlag vom 2. November in Wien führte der Attentäter ein letztes Gespräch mit seinem Deradikalisierungsbetreuer. Ein Thema waren dabei auch die Mohammed-Karikaturen in der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo". Der Täter lehnte die Karikaturen zwar ab, betonte jedoch gleichzeitig, sie könnten keine Rechtfertigung für Gewalt sein. Die Zeichnungen waren jedenfalls das Motiv für das Attentat auf den französischen Lehrer Samuel Paty Mitte Oktober: Er wurde von einem fanatischen IS-Anhänger ermordet, weil er sie seinen Schülern im Unterricht gezeigt hatte.

Religion und Satire: Das ist auch historisch gesehen keine einfache Beziehung. In Europa haben religiöse Spottbilder jedoch sehr lange Tradition. So wurde bereits im dritten Jahrhundert in eine Wand des römischen Kaiserpalasts ein gekreuzigter Jesus mit Eselskopf geritzt. Während der Französischen Revolution erlebten Satire und Karikaturen eine Hochblüte; es kommt also nicht von ungefähr, dass gerade das laizistisch geprägte Frankreich auf dieses kulturelle Erbe pocht und Religionsgemeinschaften davon nicht ausnimmt.

In muslimisch geprägten Ländern hingegen sorgen die Mohammed-Karikaturen für viel Aufruhr bis hin zu Protesten mit Verletzten und Toten. Für gläubige Muslime ist es ein Tabu, den Propheten Mohammed abzubilden; ein Verstoß dagegen wird zum Teil als grobe Respektlosigkeit und unentschuldbare Beleidigung angesehen. In einigen muslimischen Ländern ahnden die Behörden Religionskritik drakonisch - bis hin zur Todesstrafe. Vor diesem Hintergrund versuchen Islamisten, die Karikaturen zu instrumentalisieren, um auch gemäßigte Muslime auf ihre Seite zu ziehen.

So spielt eine der Karikaturen von "Charlie Hebdo" gerade auf die Islamisten an und zeigt Mohammed, der die Hände vors Gesicht schlägt und feststellt: "Es ist hart, von Idioten geliebt zu werden." Nach dem brutalen Attentat auf die Redaktion der Zeitschrift im Jahr 2015 mit elf Toten war die Titelseite der darauffolgenden Ausgabe versöhnlich: Zu sehen war ein trauriger Mohammed mit einem Schild mit der Aufschrift "Je suis Charlie" - dazu die Überschrift "Alles ist vergeben".

Die Freiheit der Kunst

Religiöse Karikaturen betreffen westlich-demokratische Grundwerte. Neben der Presse- und Meinungsfreiheit geht es dabei auch um die Freiheit der Kunst. Karikaturen bewegen sich typischerweise am Rande der Provokation; Ironie, Spott, Verzerrung und Übertreibung sind wesentliche Charakteristika. In einer pluralistischen Gesellschaft sind jedoch auch Meinungen geschützt, die andere verstören oder schockieren.

Das islamische Bilderverbot steht in Widerspruch mit diesem westlichen Wertekanon. In einem säkularen Staat können allerdings subjektive religiöse Maßstäbe nicht auf Personen außerhalb der religiösen Gruppe übertragen werden. Zudem wurden und werden die Karikaturen nicht in streng muslimischen Ländern veröffentlicht: Sie richten sich vielmehr an ein aufgeschlossenes westliches Publikum (im Fall von "Charlie Hebdo" obendrein an ein linkes, religionsfernes).

Papst Franziskus verurteilte den Anschlag von 2015 auf "Charlie Hebdo" zwar scharf, kritisierte aber gleichzeitig auch die Karikaturen als Beleidigung religiöser Gefühle; er äußerte Verständnis für den Zorn der Muslime. Noch einen Schritt weiter geht Nicholas Blancho, der Präsident des umstrittenen Islamischen Zentralrats der Schweiz, wenn er die Karikaturen als "geistige Brandstiftung" und "ebenso gefährlich wie Extremismus" betrachtet. Derartige Relativierungen sind strikt abzulehnen, da hier eine Rechtfertigung der Taten mitschwingt. Verletzte religiöse Gefühle dürfen niemals zu Gewalt und Terror führen.

Kränkungen ertragen

Schließlich gilt es zu betonen, dass auch andere religiöse Gruppen von Satire nicht verschont bleiben. Anlässlich der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gab es so manche Karikatur, die im wahrsten Sinne des Wortes "unter der Gürtellinie" angesiedelt war - etwa jene, in der ein katholischer Priester in Schritthöhe vor einem Kreuz mit Jesus zu sehen ist. Für Aufsehen sorgte seinerzeit auch ein Werk des Karikaturisten Manfred Deix, das Gott unter anderem als dicken Hippie ohne Hose beim Stuhlgang über der Erdkugel sowie als dreiköpfiges Mischwesen aus einem Weißen, einem Schwarzen und einem Asiaten mit drei Penissen zeigt.

Doch weder die Mohammed-Karikaturen noch diese Bilder erfüllen den Straftatbestand der Herabwürdigung religiöser Lehren. Kränkungen als religiöse Gruppe zu ertragen, ist jedenfalls auch ein sozio-kultureller Prozess. Karikaturen im religiösen Kontext sind eigentlich auch eine Chance für die betroffenen Gläubigen, sich in Gelassenheit und Toleranz gegenüber anderen zu üben.

Nur wenige Tage nach dem Terroranschlag rund um den Schwedenplatz hat übrigens die Wiener Polizei eine von Fundamentalisten initiierte Demonstration gegen die Mohammed-Karikaturen vor der französischen Botschaft verboten. Zu Recht: So kurz nach dem Anschlag wäre die Abhaltung nicht nur ein Sicherheitsrisiko, sondern auch respektlos gegenüber den Opfern gewesen.