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"Pacta sunt servanda", in der Tat

Von Olexander Scherba

Gastkommentare
Olexander Scherba ist Botschafter der Ukraine in Österreich.
© Ukrainische Botschaft

Eine Replik auf den Gastkommentar des russischen Botschafters zum Ukraine-Konflikt.


Es gibt naive Heuchelei, unverschämte Heuchelei - und die Heuchelei jenseits jedes Begreifens. Zum Beispiel die Heuchelei eines Staates, der versprochen hat, deine Grenzen zu respektieren, dir dann dein Land wegnimmt und dich des Völkerrechts zu belehren versucht.

"Pacta sunt servanda", erinnerte uns der russische Botschafter in seinem Gastkommentar am 1. Dezember im Hinblick auf die ukrainisch-russischen Beziehungen. Da stimme ich ihm zu. Verträge müssen eingehalten werden. Zum Beispiel das Budapester Memorandum, ein Vertrag aus dem Jahr 1994, in dessen erstem Punkt stand: "Die Vereinigten Staaten von Amerika, die Russische Föderation und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, im Einklang mit Prinzipien des KSZE-Schlussakts, bekräftigen ihre Verpflichtung, die Unabhängigkeit, Souveränität und die existierenden Grenzen der Ukraine zu respektieren." Für dieses Ehrenwort Russlands tauschte die Ukraine ihre Nuklearwaffen aus. Seit der Krim-Annexion weiß man: Das Ehrenwort Russlands ist nicht viel wert.

Das gilt leider auch für einige Behauptungen des russischen Botschafters im Hinblick auf die Erfüllung der Pariser Vereinbarungen vom Dezember 2019.

Zum ersten: Der Pariser Gipfel fand auf die Initiative des ukrainischen Präsidenten statt. Hätte die Ukraine nicht die Initiative ergriffen, würde das Blut im Donbas auch jetzt fließen so wie vor einem Jahr. Niemand ist so am Frieden interessiert wie die Ukraine.

Zum zweiten: Was in Paris vereinbart wurde, hatte die Ukraine vorgeschlagen - und hat es auch zum großen Teil durchgeführt. Die Gefangenen wurden ausgetauscht. Der von der Ukraine vorgeschlagene Truppenrückzug ist erfolgt. Zusätzliche Übergangspunkte wurden eröffnet. Seit August hält die Ukraine am Waffenstillstand fest - trotz fast täglicher russischer Verstöße.

Was nicht erfüllt wurde (etwa der immer noch blockierte Zugang für das Rote Kreuz zu Gefangenen im okkupierten Donbas), kann auf einem neuen Gipfel besprochen werden. Nur zeigt hier eine Seite demonstrativ keine Eile: Russland.

Seit sechs Jahren gibt es keinen Frieden in Donbas. Auf der einer Seite sind die russischen Fahnen, Waffen, Militärpersonal, auf der anderen die ukrainischen. Trotzdem spielt Russland ein bizarres Spiel, indem es vorgibt, keine Kriegspartei zu sein. Das Problem liegt darin, dass die wirklichen Kriegsparteien unterschiedliche Dinge wollen: Die Ukraine will Frieden, Russland will die Kontrolle. Daher die Versuche aus Moskau, die Ukraine zu zwingen, die vom Kreml angesetzten Kollaborateure in Donezk und Luhansk als Teil der ukrainischen Politik anzuerkennen - und so die Ukraine entweder zur Explosion zu bringen oder langfristig im Schach zu halten.

Mittlerweile verfestigt sich die Okkupation des Donbas, indem russische Pässe an die Bevölkerung verteilt werden, die ukrainische Grenze unter alleiniger Kontrolle Russlands steht und sämtliche Entscheidungen in Moskau getroffen werden. Die Wirtschaft ist im Eimer, die meisten pro-ukrainischen Staatsbürger sind entweder getötet oder vertrieben worden, das ukrainische (wie jedes andere) Gesetz gilt nicht. In diesem Zustand, ohne jeglichen Einfluss Kiews, schlägt Moskau vor, die Wahlen durchzuführen und so die Macht seiner Vertreter in der Ukraine zu legitimieren. Ein "toller" Plan.

Wenn man Frieden wirklich will, dann sollte man mit einfachen Schritten anfangen; zum Beispiel demokratische Wahlen gewährleisten; die Propaganda-Maschine ausschalten; den Schmerz lindern; die Gemüter beruhigen - alles Dinge, die wir leider von Russland nicht kennen.