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Die Revolution der Arbeitswelt hat bereits begonnen

Von Lena Glaser

Gastkommentare

Vertrauen, Wertschätzung und Offenheit für neue Wege sind der Schlüssel für die Zukunft.


Ein Virus hat die Digitalisierung der Arbeitswelt von heute auf morgen auf einen neuen Level gebracht. Schwachstellen wurden sichtbar, aber auch Potenziale. Bereits vor langer Zeit veränderten digitale Technologien die Art, wie wir arbeiten, wie wir leben. Doch wurde das bisher nur nebenbei und schleichend wahrgenommen. "Wie wollen wir in Zeiten der digitalen Transformation arbeiten und leben?" Das ist keine Zukunftsfrage, sondern vielmehr eine Herausforderung der Gegenwart. Wir wollen nicht zurück in die alte Arbeitswelt mit ihren überkommenen Mustern. Der Zeitpunkt ist gekommen, diese zu ändern. Die ständig wechselnden Rahmenbedingungen werden bleiben. Alles wird schneller und komplexer. In so einer Welt braucht es eine neue Art des Arbeitens.

"We can’t go back to normal"

Die britische Tageszeitung "The Guardian" hat einen Artikel zur Corona-Krise mit "We can’t go back to normal" übertitelt und die neue Richtung vorgegeben, was besonders auch auf unsere Arbeitswelt zutrifft. Die Krise hat es gezeigt: Unsere Arbeitskultur ist geprägt von überkommenen Mustern, einem Mangel an Vertrauen, von Kontrolle, Ängsten und fehlenden Partizipationsmöglichkeiten. Also Rahmenbedingungen, die stark den Arbeitsalltag, das Wohlbefinden und die Motivation beeinflussen und den Menschen in Organisationen erschweren, mit unerwarteten, komplexen Herausforderungen gut umzugehen.

Deswegen kann die Krise als Chance gesehen werden, jetzt eine neue Kultur auf Augenhöhe zu etablieren. Besonders Organisationen, die sich aufgrund der digitalen Transformation und Umstellung auf ökologische Geschäftsmodelle neu aufstellen müssen, sind mehr denn je gefragt, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitzunehmen, ihnen zuzuhören und eine Kultur zu entwickeln, die innovative Wege ermöglicht: vom Energiesektor bis zu Banken und Versicherungen. Auch in der öffentlichen Verwaltung macht es die Digitalisierung erforderlich, eine neue Arbeitskultur auf allen Hierarchieebenen zu fördern: Vertrauen, Wertschätzung und Offenheit für neue Wege sind der Schlüssel.

Gerade jüngere Beschäftigte fordern das von ihren Arbeitgebern immer mehr ein. Für viele zählen Lebens- und Arbeitsqualität mehr als materielle Werte. Sie wollen gehört werden, selbstbestimmt arbeiten und mitgestalten können. Sie wollen einen Umgang auf Augenhöhe. Die Wirtschaftsredakteurin Kerstin Bund beschreibt das in ihrem Buch "Glück schlägt Geld" so: "Wir sind nicht faul. Wir wollen arbeiten. Nur anders. Im Einklang mit unseren Bedürfnissen."

Die "Deloitte Millennial Survey" bestätigt, dass junge Menschen sich häufiger bewusst für Arbeitgeber entscheiden, mit deren Werten sie sich identifizieren können. Im Wettbewerb um die besten Talente kommen Organisationen an diesem Thema nicht mehr vorbei. Sie müssen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, sonst werden sie diese nachkommenden Generationen nicht überzeugen.

Authentisches Engagement

Dabei müssen Organisationen authentisch sein, die Veränderung nachhaltig vorantreiben und in die Tiefe gehen: "Corporate Social Responsibility" darf nicht als bloße Marketingmaßnahme instrumentalisiert werden. Entscheidungsträgerinnen und -trägern muss bewusst sein, dass ihre Zielgruppe, sei es am Arbeitsmarkt oder doch als Konsumentinnen und Konsumenten, sehr rasch erfasst, ob reines Marketing oder doch authentisches Engagement gelebt wird.

Das sind keine Luxusforderungen einiger verwöhnter Privilegierter - wie öfters zu hören ist -, sondern ernstzunehmende Bedürfnisse. Immer mehr (junge) Menschen macht ihre Arbeit krank, besonders unter 30-Jährige sind von Burn-out betroffen, wie eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz aus dem Jahr 2017 in Österreich aufzeigt. Dazu kommt, dass früher viele Menschen mit der Erwartung aufgewachsen sind, ein besseres Leben als ihre Eltern zu führen. Doch das ist bei den jungen Menschen heute anders, sagt der Ökonom Joseph E. Stiglitz. Besonders Kinder und Jugendliche, also sogenannte Digital Natives, die von klein auf mit digitalen Tools und ihren Möglichkeiten aufwachsen, fordern diese Augenhöhe mehr denn je ein. Ihre Haltung wird sich auch in der Arbeitswelt niederschlagen.

Kaum genutztes Potenzial

Was können Entscheidungsträgerinnen und -träger tun? Es beginnt mit dem Reflektieren - besonders jetzt: Was funktioniert, was funktioniert nicht? Für eine nachhaltige Transformation braucht es eine neue Haltung und Kultur: Das Arbeiten auf Augenhöhe ist wichtig, sich gegenseitig zuhören. Diese Reflexion hat daher gemeinsam und auf allen Hierarchieebenen zu erfolgen: in der Geschäftsführung, im mittleren Management, im Team bis hin zu jeder und jedem Einzelnen. Einige Organisationen haben diesen Prozess bereits top-down begonnen - mit Befragungen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit Arbeitsgruppen oder konzernweiten virtuellen "Cultural Summits".

Besonders engagiert sind viele junge Frauen, die erkennen, was in ihrem Arbeitsumfeld nicht funktioniert und wie es zu verbessern wäre. Sie wollen die Transformation bottom-up vorantreiben. Allerdings werden sie oft nicht gefragt; zu wenige von ihnen sind in Entscheidungspositionen. Sie stellen ein kaum genutztes Potenzial in den Organisationen dar, auf das nicht verzichtet werden darf. Sie sind zu ermutigen, diese Entscheidungspositionen zu übernehmen, und dazu sollten ihnen Räume und Werkzeuge zur Verfügung gestellt werden - von Weiterbildungsmaßnahmen bis zu Reverse-Mentoring. Nur wenn alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mitgestalten möchten, diese Möglichkeiten auch bekommen, kann dieser Weg erfolgreich sein und können überkommene Strukturen losgelassen werden. Auch hier gilt es authentisch zu sein, kritisches Hinterfragen ist essenziell.

Lernen von Skandinavien

Ein weiterer Schritt ist die gemeinsame Gestaltung der Büros der Zukunft. Die technologischen Tools ermöglichen es vielen Menschen, von zu Hause oder im Co-Working-Space zu arbeiten - entzogen der Kontrolle der Arbeitgeber, aber auch alleine und oft einsam ohne Kolleginnen und Kollegen. Das zeigt einmal mehr, dass Arbeit mehr als nur Geldverdienen ist, sie hat eine wichtige soziale Seite. Es braucht daher Räume, in denen sich Menschen real treffen, den sozialen, persönlichen Austausch pflegen, wie er etwa in der Kaffeepause stattfindet. So können Kreativität und Vertrauen erst entstehen.

Die skandinavische Arbeitskultur kann für diese Transformation als Inspirationsquelle dienen. So ist es in dänischen Unternehmen die Rolle der Führungskraft, den Rahmen zu schaffen, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter autonom ihre Aufgabenstellungen erledigen und eigene Ideen umsetzen können. Grundlegend dafür ist eine Vertrauenskultur, die nicht von Kontrolle und Einschüchterung geprägt ist. Eine junge Österreicherin, die für ein dänisches Start-up arbeitet, beschreibt es so: "In Dänemark wird nicht kontrolliert, sondern Vertrauen geschenkt. Es gibt eine Offenheit für Neues. Die Menschen haben keine Angst, Fehler zu machen, denn sie werden allgemein als Chance für die Weiterentwicklung gesehen." Ihr Vorgesetzter erklärt sein Selbstverständnis als Führungskraft so: "In mein Team nehme ich nur Menschen auf, die in ihrem Feld besser sind als ich, und ermögliche ihnen dann, so gut wie möglich zu arbeiten. Das ist meine Rolle als Chef."

Vertrauen, Nachhaltigkeit und Design gehen in Dänemark Hand in Hand - ein großes Potenzial auch für Österreich: Für einen neuen Zugang und mehr Vielfalt könnten Designerinnen und Designer mit Sensibilität für Menschen in Transformationsprozessen von der Vorstandsebene in die Organisationen eingeladen werden, um gemeinsam mit ihnen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kreative Lösungen zu erarbeiten und so den Kulturwandel in den Organisationen voranzutreiben. So werden die Bedürfnisse der Menschen über alle Hierarchien, Altersgruppen hinweg kreativ und innovativ mit wirtschaftlichen Anforderungen in Einklang gebracht. Vielfältige Perspektiven, Wohlbefinden und Zufriedenheit schließen wirtschaftlichen Erfolg nicht aus - sondern fördern ihn. Das führt zu einer Transformation von Organisationen, in denen Menschen wachsen, lernen und mitgestalten können. Nur in so einem Umfeld entstehen sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltige Innovationen, und digitaler Humanismus wird von der Floskel zum Leben erweckt.