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Schaffen wir ein Vertrauensklima

Von Wilfried Riether

Gastkommentare
Wilfried Riether beschäftigte sich wissenschaftlich an verschiedenen Universitäten und beruflich als Führungskraft und Berater mit Fragen des Zusammenlebens in der Gesellschaft (Buchtipp: "Kulturelle Integration als Schlüsselfaktor", 2014).
© privat

Die Post-Corona-Ära wird gekennzeichnet sein durch das Bestreben, erkannte Vorteile weiterzuführen.


Änderungen in der Umwelt, der Gesellschaft, dem sozialen und politischen Leben, führen allgemein zu Verunsicherungen. Personen verlieren die gesellschaftliche Orientierung, das Eingelernte, Gewohnte funktioniert nicht mehr so, wie wir es erwarten. Über Nacht musste die Gesellschaft lernen, dass vieles digital erledigt wird oder werden muss. Wir mussten erkennen, dass nicht alles selbstverständlich ist und die vielen kleinen Dienstleistungen zum wesentlichen Teil unseres Lebens gehören und wertgeschätzt werden müssen. Erkannt wurde aber auch, dass vieles qualitativ besser und zeitsparender erledigt werden kann, wenn die digitale Technik genutzt wird. Im privaten Umfeld hatten wir mehr Zeit füreinander, in manchen Fällen musste auch erkannt werden, dass das Miteinander nicht vorhanden ist, erst (wieder) erlernt werden muss, das Nebeneinander einer Spaßgesellschaft funktioniert nicht mehr.

Die Post-Corona-Ära wird gekennzeichnet sein durch das Bestreben, erkannte Vorteile weiterzuführen. Das betrifft das private Umfeld, das Einkaufen, die Schule, die Universität, die Kultur und natürlich die Arbeitswelt - erkannte Vorteile werden nicht mehr aufgegeben und als Chance genutzt werden. Die Politik und der Gesetzgeber werden darauf reagieren müssen - die Menschen wurden selbstbewusster und leistungsorientierter, es zählen eher Ergebnisse und nicht die verbrachten Minuten an einem Arbeitsplatz.

Ein neuer Umgangmit dem Faktor Zeit

Es gibt einen Paradigmenwechsel - wir wurden auf den Zeitfaktor hin erzogen, das fängt bei der Schulstunde an und endet mit der Stundenabrechnung oder dem Minutenaufwand eines Arztes für einen Patienten. Zeit ist zwar leicht zu messen, aber nicht orientiert am Ergebnis. Diese Effizienz-Orientierung macht sicher vielen mental Probleme, da auch der "kleine" soziale Kontakt beim digitalen Umgang fehlt, der Smalltalk beim Begegnen oder der Blickkontakt beim direkten persönlichen Gespräch.

Licht am Horizont.
© Wilfried Riether

Viele werden auch die Sehnsucht haben, den alten Zustand wiederherzustellen - die "gute alte Zeit". Die Realität wird aber anders sein, manches wird sich neu etablieren müssen. Stichworte sind Reisefreiheit und die Dynamik des sozialen Lebens, aber in Verbindung mit einer unglaublichen Geschwindigkeit der Veränderungen im Bereich der technischen Möglichkeiten. Das betrifft die Kommunikation, die Industrie oder die Verwaltung, den privaten und den öffentlichen Bereich.

Erwünscht wäre, dass soziale Lernprozesse nachhaltig erhalten bleiben: Die Gegenseitigkeit, die beobachtete Höflichkeit im gegenseitigen Umgang aber auch die Ablehnung von unkooperativem Verhalten wie die Ausbeutung von sozialen Leistungen, die egoistische Nutzung von Transferzahlungen, der Grundversorgung, Krankenstand oder Arbeitslosenzahlung, Schwarzarbeit bis zur Steuerhinterziehung - wir werden es uns nicht mehr leisten können, dass die Allgemeinheit betrogen wird, sonst können wir es uns nicht mehr leisten, jenen zu helfen, die es brauchen. Es obliegt aber auch der Politik, dass Bürger auf einen sorgsamen Umgang mit Steuermitteln vertrauen können (was derzeit nur bedingt der Fall sein dürfte).

Nur das Gegenseitige und nicht das Egoistische ist erfolgreich

Das Zusammenwirken, die umfassende Kooperation könnte ein Schlüssel für die kulturelle Entwicklung der Gesellschaft sein. Die Post-Corona-Ära wird nachhaltig das soziale Umfeld prägen. Das soziale Umfeld wird - und das ist nicht neu - vom kooperativen Verhalten geprägt. Kooperation also das gegenseitige Geben und Nehmen, gilt in der Soziologie als Grundlage der Gesellschaft. Die Qualität dieses Zusammenlebens bestimmt das individuelle strategische Verhalten, das durchaus auf persönliche Vorteile ausgerichtet ist, aber in der Erkenntnis, dass letztlich nur das Gegenseitige und nicht das Egoistische erfolgreich ist. Diese positive Stimmung ist abhängig von kulturellen Elementen, die das Verhalten bestimmen. Eine wissenschaftliche Analyse zeigte, dass drei Kulturfaktoren wesentlich sind: Vertrauen, Gegenseitigkeit (also Beziehungspflege) sowie Art und Umfang der Kommunikation. Die Qualität dieser drei fundamentalen Kulturfaktoren ist verantwortlich für ein nachhaltiges Miteinander. Alle übrigen bekannten Kulturfaktoren sind von dieser Qualität abhängig.

Die derzeitige Situation sollte zur kulturellen Evolution führen

Ist einer dieser drei Faktoren schwächer ausgeprägt, wird das Zusammenleben, die tägliche Kooperation mit anderen, gestört, oder das Zusammenleben nicht entwickelt oder sogar auf Dauer beendet. Das zeigt sich in der Wirtschaft, in der Gesellschaft und in der Politik. Leicht beobachtbar ist der Vertrauensverlust, wenn politische Führer als unverlässlich oder wandelbar eingestuft werden bspw. aus tagespolitischen, wahltaktischen oder imagebezogenen Gründen Vereinbarungen aufkündigen, einseitig interpretieren, Partner ausbeuten usw.

Problematisch ist dann, dass ein Vertrauensverlust langfristig das kooperative Verhalten in Frage stellt, auf Dauer ein unerwünschtes Image kreiert und eine Zusammenarbeit auf das Notwendigste beschränkt. Politiker führen dann aus egoistischen Gründen und Verblendung des Volkes ein Land oder die ganze Welt in eine finstere Zukunft, da nachhaltig wirkende positive Elemente fehlen. Die Entwicklung wird zumindest zum Stillstand geführt oder der eingeschlagene Weg endet in einem (welt-)politischen Desaster - wir selbst blicken hier auf eine leidvolle, historische Vergangenheit.

Ich wünsche mir, dass die derzeitige Situation am Ende zu einer kulturellen Evolution führt, in der weltweit das gegenseitige Vertrauen, die Verlässlichkeit und Achtung, das Verhalten bestimmt und Egoismus von politischen Führern, machtpolitische Interessen und national-populistische Meinungsbilder weniger Einfluss haben. Die kulturelle Vielfalt sollte und muss aber erhalten bleiben.