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"Neue Normalität" für die Wirtschaft nach Corona?

Von Erhard Fürst

Gastkommentare
Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industrie- und Wirtschaftspolitik in der Industriellenvereinigung.
© privat

Die besten Vorsätze und schönsten Modelle werden an der ökonomischen Realität zerschellen.


Natürlich hängt die weitere Wirtschaftsentwicklung in Europa und Österreich entscheidend vom Verlauf der Corona-Krise ab. Es ist aber plausiblerweise anzunehmen, dass dank weiteren Ansteckungen und Impfungen wohl ein notwendiger Grad an Herdenimmunität erreicht und damit die Pandemie bis Mitte nächsten Jahres unter Kontrolle gebracht werden kann.

Die Krise hat jenen Fundamentalkritikern Auftrieb gegeben, die die Schuld für die negativen Entwicklungen bei unserem liberalen, durch Privateigentum, Wettbewerb und Globalisierung charakterisierten Wirtschaftssystem suchen. Dabei geht es nicht nur um den Traum einer basisdemokratisch legitimierten, kooperationsorientierten Gemeinwohlwirtschaft à la Christian Felber. Selbst Chefs großer AGs und Investmentfonds führen "Purpose-Diskussionen" über den Unternehmenszweck und verabschieden sich öffentlichkeitswirksam vom Prinzip der Maximierung des Shareholder Value, also des Firmenwerts für die Aktionäre. Von nun an heißt ihr Zielkatalog ESG (Environment Social Governance - ökologisch, sozial und gute Unternehmensführung).

Die besten Vorsätze und schönsten Modelle einer neuen Wirtschaftsordnung werden allerdings an der ökonomischen Realität zerschellen. Denken wir an die dramatisch gestiegenen Staatsschulden (etwa 15 bis 30 Prozentpunkte Erhöhung der Schuldenquote am BIP in den Euroländern 2019 bis 2021). Zwar sind die Zinsen niedrig, aber beim hohen Ausgangsniveau der Verschuldung kann sich die Bonität einzelner Länder rasch verschlechtern. Dazu kommen enorme zusätzliche Belastungen der öffentlichen Budgets in den nächsten Jahren durch den Green Deal der EU, die Abfederung der zu erwartenden Insolvenzwelle sowie damit in Zusammenhang eventuelle neuerliche Bankenstützungen und dringende Verbesserungen in der Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik.

In dieser Situation führt kein Weg an einer strukturellen Budgetsanierung vorbei, jedes Zehntel BIP-Zuwachs wird dringend benötigt. Daher höchste Priorität für wachstumsfördernde Maßnahmen, einen harten Sparkurs auf der Ausgabenseite und die Stärkung der Einnahmenseite. Natürlich sind zugleich Weichen für eine langfristige Umstrukturierung der Wirtschaft in Richtung CO2-Neutralität zu stellen. Aber die Zwangsvorstellung, die EU zum globalen Klimavorreiter zu machen und jede private Investition, die dieser Anforderung nicht genügt, an den Pranger zu stellen und durch Druck von Politik und Notenbanken zu verhindern, ist hanebüchen.

Geht es allerdings nach der Neuen monetären Theorie, kann man all das Gesagte vergessen, und die Finanzminister dieser Welt erwartet eine paradiesische Zeit. Dann nämlich sollen "unabhängige" Notenbanken ohne Umweg über Finanzinstitutionen den Kreditbedarf der Wirtschaft und insbesondere der Staaten decken. Von vielen Entwicklungs- und Schwellenländern wissen wir, dass in einer Wirtschaftskrise die Notenbank rasch von der Regierung an die Kandare genommen wird, um den Geldhahn aufzudrehen. Hoffen wir, dass die europäischen Institutionen dieser Versuchung nicht erliegen.