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Die Psyche im Corona-Stress

Von Dieter Feierabend

Gastkommentare
Dieter Feierabend ist wissenschaftlicher Leiter im Neos Lab.
© NEOS Lab

Auf die psychischen Belastungen ist unser Gesundheitssystem nur bedingt vorbereitet.


Jedes Jahr ermittelt die Gesellschaft für österreichisches Deutsch die (Un-)Wörter des Jahres. Das heurige Wort des Jahres wurde "Babyelefant", das Unwort "Corona-Party". Abstand ist gut, Nähe nicht gewünscht. Klar ist, dass wir unsere Kontakte reduzieren müssen, zugleich fand "social distance" leider oft im wahrsten Sinn des Wortes statt. Gemeinsam mit gesundheitlichen, familiären und ökonomischen Sorgen oder erhöhtem Stress ergibt sich ein Umfeld, das eine enorme Herausforderung für die psychische Gesundheit darstellt. Studien zeigen, dass Angstsymptome, Schlafstörungen und Depressionen in der Pandemie signifikant angestiegen sind.

Dies ist kein österreichisches Spezifikum, auch in anderen OECD-Ländern zeigt sich ein Anstieg. Insbesondere an Corona Erkrankte, Menschen mit niedrigeren Einkommen, Junge und sogenannte Frontline-Arbeiter wie Gesundheitspersonal sind betroffen. Auch in einer Umfrage des Neos Lab gemeinsam mit Sora berichtete ein erheblicher Teil der Bevölkerung von einer verschlechterten psychischen Gesundheit. Unser Gesundheitssystem ist nur bedingt darauf vorbereitet und steht vor mehreren, oft hausgemachten Problemen:

Erstens geht das Thema immer noch in gesellschaftlichen Diskussionen unter. Dies liegt einerseits, trotz aller Fortschritte, am Wissensstand über psychische Gesundheit und damit einhergehenden Stigmata und Vorurteilen. Andererseits werden solche Themen oft schnell als persönliche Befindlichkeiten abgetan. Im ersten Lockdown wurde in der Diskussion um die Öffnung der Bundesgärten vor allem gefragt, ob es denn nötig sei, jetzt in Parks zu gehen. Dabei empfehlen Gesundheitsbehörden Spaziergänge an der frischen Luft.

Zweitens haben wir Aufholbedarf bei der psychischen Gesundheitsinfrastruktur. Das geht über das Grundproblem fehlender Kassenverträge für Psychotherapie hinaus. In Basel (200.000 Einwohner) bieten aktuell 211 niedergelassene Psychiater und 93 Psychologen je nach Kassenvertrag ein entsprechendes Leistungsportfolio an. Niederösterreich (1,7 Millionen Einwohner) hatte laut regionalem "Strukturplan Gesundheit" 22,3 Planstellen für niedergelassene Fachärzte mit Kassenvertrag.

Drittens haben wir viel zu wenig öffentlich zugängliche Daten. Zwar wird laut OECD in allen Mitgliedstaaten zu wenig Evidenz erhoben, aber in Österreich gibt es viele selbstverschuldete Lücken. Ein politischer Schwerpunkt auf psychische Gesundheit ist nötig. Wir müssen unsere Gesundheitsinfrastruktur ausbauen, mehr Daten erheben, insbesondere eine aktuelle Prävalenzerhebung für psychische Erkrankungen und eine darauf aufbauende Analyse des gedeckten Bedarfs, und Maßnahmen im Lebensumfeld forcieren.

In der Pandemiepolitik ist die psychische Gesundheit bei Maßnahmen und Kommunikation verstärkt mitzudenken. Klarheit und Empathie sollten im Vordergrund stehen statt "Hü-Hott" und das Arbeiten mit Angst. Denn die Pandemie ist noch nicht vorbei, weiterhin müssen wir mit dem "social distancing" leben lernen, Herausforderungen auch für die psychische Gesundheit ernst nehmen und unser Gesundheitssystem so adaptieren, damit uns dies auch gelingt.