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Die Wirtschaft darf die Frauen nicht verlieren

Von Manuela Vollmann

Gastkommentare

Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben: Ein Blick ins Jahr 2030 verrät, warum der Kuchen jetzt gebacken werden muss. Die Zutaten und Erfolgsrezepte gibt es bereits.


Stellen Sie sich mit mir folgendes Szenario vor: Wir schreiben das Jahr 2030, in jedem Haushalt hängt ein Haushaltsplan, Frauen und Männer teilen sich die unbezahlte Hausarbeit gerecht auf, für die Männer ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, die Betreuung und Versorgung der Kinder genauso partnerschaftlich zu teilen, wie die Pflege von Angehörigen zu übernehmen. 30 Wochenstunden Erwerbsarbeit sind für Männer und Frauen ein gangbarerer Weg geworden, um die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben unter einen Hut zu bekommen. Frauen gehen gerne 30 Stunden arbeiten, Männer schätzen die Zeit, die sie für ihre Kinder dazugewonnen haben.

Was aber nach wie vor fehlt, sind Fachkräfte. Der demografische Wandel hat dafür gesorgt, dass Österreichs Bevölkerung die Neun-Millionen-Marke erreicht hat, ein Viertel der Bevölkerung ist über 65 Jahre alt und in Pension, die Personengruppe im zentralen Erwerbsalter beträgt 2,89 Millionen und ist damit in den vergangenen zehn Jahren um ein Vielfaches geschrumpft. Unternehmen kämpfen um Fachkräfte, die es nicht mehr ausreichend gibt, da die Corona-Krise 2020 einen herben Rückschlag für die Frauen bedeutet hat.

Viel zu spät wurde darauf reagiert, dass vor allem Frauen sich aus der Erwerbsarbeitslosigkeit und aus Aus- und Weiterbildungen zurückgezogen haben, da Homeschooling sowie die Versorgung und Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen mit einem fortgesetzten Berufs- und Ausbildungsweg nicht mehr vereinbar waren. Während sich die Gesellschaft weiterentwickelt und die nachfolgende Generation ihre neuen Ansprüche in Sachen Work-Life-Balance durchgesetzt hat, spürt die Wirtschaft die Auswirkungen aus der Zeit der Corona-Krise. Viele fragen sich: "Was hätten wir tun können?" Machen wir dazu einen Schritt zurück ins abgelaufene Jahr 2020.

Bezahlte und unbezahlte Arbeit dringend neu verteilen

In den "ABZ*AUSTRIA"-Workshops zum Thema Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben fragen die Trainerinnen oft am Anfang: "Macht ihr mehr als 80 Prozent der unbezahlten Arbeit zuhause?" Fast 100 Prozent der Teilnehmerinnen stellen sich dann auf die "Ja"-Seite. Andere Menschen um Hilfe zu bitten, dem Partner mehr Verantwortung abzuverlangen und die Beteiligung an der Haus- und Familienarbeit neu zu verhandeln, das muss oft gelernt werden. Auch ganz praktische Informationen fehlen. Eine Workshop-Teilnehmerin etwa hat uns begeistert rückgemeldet, dass sie über uns den Kontakt zu den "Notfall-Mamas" gefunden hat und seitdem weiß, dass jemand einspringt, wenn ein Kind krank wird und nicht in die Schule gehen kann. Eine andere hat einen Haushaltsplan erstellt und erzählt uns, dass es erfreulicherweise mit der schriftlichen Festlegung gut klappt: "Scheinbar hat es diese klare Einteilung gebraucht, und nach einer Gewöhnungsphase, dass Mama jetzt nicht mehr alles macht, funktioniert es zu meiner eigenen Überraschung gut."

Der Job unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es auch, die Frauen psychosozial zu unterstützen, um Aus- und Weiterbildungen durchzuhalten und bei der Jobsuche nicht aufzugeben. Kein leichtes Unterfangen, denn die Betreuung und Versorgung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen wird in Österreich traditionell von Frauen erledigt - ein Balanceakt, der mittlerweile vielfach nicht mehr machbar ist.

Die Neuverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit ist dringend notwendig, um stereotype Rollenbilder aufzubrechen und Frauen ein existenzsicherndes Einkommen und Karriere zu ermöglichen. Eine Erwerbsunterbrechung aufgrund von Kindern ist leider immer noch ein zentraler Einflussfaktor für die weitere berufliche Laufbahn einer Frau. Gerade weil es derzeit für die Frauen besonders eng wird, sollten wir bestehende Unterstützungsmöglichkeiten rasch ausbauen.

Anstieg der Arbeitslosigkeittrifft Frauen stärker als Männer

Wie immer, wenn es in Sachen Vereinbarkeit eng wird, wird nach neuen Konzepten und Ideen gefragt, auf Podien und bei Veranstaltungen diskutiert, was denn jetzt zu tun sei, damit die seit jeher belasteten Mütter unterstützt werden könnten. Ich beschäftige mich seit fast 30 Jahren beruflich mit genau diesem Thema. Ich weiß: Wenn wir die Frauen verlieren, geht es nicht nur um tragische individuelle Schicksale - wir verlieren in Berufen auch die potenziellen Fachkräfte, die die Wirtschaft nach der Krise dringend brauchen wird, und verstärken die Arbeitslosenzahlen. In der Corona-Wirtschaftskrise zeigt sich außerdem ein beunruhigender Aspekt: Frauen sind vom Anstieg der Erwerbsarbeitslosigkeit stärker betroffen als Männer und stellen die Jobsuche oft ein, da sie nicht mehr alles gleichzeitig managen können.

Wie also kann man die Frauen unterstützen? Ich bin davon überzeugt, dass der alte Wein keine neuen Schläuche braucht. Wir müssen nichts Neues erfinden, sondern vielmehr schon vorhandene Projekte und Initiativen ausbauen. Selbstverständlich braucht es gesamtgesellschaftliche Lösungen, von flächendeckenden Ganztagsschulen über qualitativ hochwertige Kinderbetreuung bis zu neuen Arbeitszeitmodellen. Es braucht einen politischen Rahmen, der eine partnerschaftliche Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit deutlich stärker unterstützt.

30 Wochenstunden beider Eltern bei teilweisem Lohnausgleich

Ich schlage schon länger ein Modell einer Familienarbeitszeit von 30/30 vor, in dem beide Eltern auf 30 Wochenstunden bei teilweisem Lohnausgleich reduzieren. Nur wenn beide Elternteile in dieser Lebensphase Erwerbsarbeitszeit reduzieren, wenn es für Unternehmen "normal" wird, dass auch Männer diese Zeiten in Anspruch nehmen, werden eine Verschiebung von Verantwortlichkeiten und eine größere Selbstverständlichkeit von Frauenkarrieren gelingen. Über die notwendigen strukturellen Verbesserungen wurde immer wieder gesprochen - es ist Zeit, sie endlich umzusetzen. Parallel dazu braucht es eine Aufstockung schon vorhandener Projekte, Programme und Workshops, die die Frauen dabei unterstützen, neue Vereinbarkeitskonzepte zu erstellen und umzusetzen.

Ich persönlich wünsche mir, dass die Frauen in diesem Land die Unterstützung bekommen, die sie verdienen und die auch unsere Gesellschaft und Wirtschaft brauchen. Es gibt schon viel Gutes, nicht alles muss neu erfunden werden. Wenn wir an den richtigen Hebeln ansetzen, dann schaffen wir grundlegende Veränderungen, die die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben während und nach Pandemiezeiten ermöglichen.