Zum Hauptinhalt springen

Das Erfolgsmodell Europa braucht ein Update

Von Karl Aiginger

Gastkommentare
Karl Aiginger ist Direktor der Querdenkerplattform Wien Europa (www.querdenkereuropa.at) und lehrt an der WU Wien. Er ist Autor von Europaprojekten, Mitglied des ForumFuture-Teams und der Schumpeter-Gesellschaft.
© Eric Kruegl

Wir müssen ein paar Dinge vergessen und andere forcieren.


Europa wächst in jeder Krise. So war es in der Ölkrise, der Finanzkrise und der Euro-Krise. Daher besteht Hoffnung, dass Brexit und Covid-Krise später als Schritte zu neuen Ufern gesehen werden. Wir müssen aber ein paar Dinge vergessen, andere forcieren:

Wir sind nur gemeinsam stark. Der Corona-Impfstoff ist das Verdienst von Wissenschaftern, die in verschiedensten Ländern studiert und geforscht haben. Und die Vakzine muss gerecht verteilt werden. Wenn ein Land sie hortet und in einem anderen das Gesundheitssystem zusammenbricht, verlieren alle.

Europa darf sich nicht einigeln. Die EU bleibt dynamisch, solange sie wächst. Süderweiterung, Ostöffnung, Nachbarschaftspolitik waren nie einfach. Auch die Integration des Westbalkan oder die Kooperation mit östlichen und südlichen Nachbarn wird es nicht. Eine Rückkehr zu "Kerneuropa" oder Träume, dass früher alles besser war, sind Irrtümer. China, Russland, Türkei würden gerne europäische Häfen und Logistikzentren übernehmen. Wir müssen den Partnern vertrauen, auch weil sie manchmal anders denken. Eindimensionalität ist kein gutes Rezept.

Es sind immer Kompromisse, die weiterbringen. Einstimmigkeit und Veto gehören in die Mottenkiste.

Geld-, Fiskal- und Umweltpolitik dürfen nicht gegeneinander arbeiten. Bevorzugt die EZB bei Anleihekäufen fossile Dreckschleudern, entwertet das die Umweltpolitik. Eine Finanzpolitik, die Arbeit besteuert, nicht aber spekulative Finanztransaktionen und Emissionen, senkt die Wohlfahrt und stärkt den Populismus. Der Region mit den höchsten Abgaben und Sozialleistungen fehlt dann das Geld für Schulen und Forschung. In der Klimapolitik muss Europa die Führung übernehmen. Dekarbonisierung schafft Jobs, Ehrgeiz sorgt für Technologiesprünge.

Wir müssen selbstbewusster werden. Obwohl das geografische Europa der größte Wirtschaftsraum ist, diskutieren wir, wann China den USA die Weltführung abnimmt, statt diese Rolle selbst anzustreben. Fachausbildung und gerechter Zugang zu Bildung und Gesundheit sind Europas Angebot an Nachbarn, nicht Autobahnen und Pipelines. Das senkt Armut, Übervölkerung und politische Konflikte, Afrika wird zum Chancenkontinent. Migration wird qualifizierter und kann zirkulär werden. Netto braucht das alternde Europa Zuwanderung, möglichst qualifiziert und mit kulturellem Verständnis.

Demokratie ist auch in Europa ein Lernprozess. Für autokratische Regime gibt nie eine Mehrheit, aber oft Gleichgültigkeit und niedrige Wahlbeteiligung besonders in "vergessenen" Regionen. Hier müssen Medien, NGOs und Zivilbevölkerung aktiv werden. EU-Sanktionen dürfen nie die Bevölkerung bestrafen. Es muss kommuniziert werden, dass Gelder doppelt fließen, wenn Autokraten abgewählt werden.

Unser Modell ist nicht perfekt, aber besser als das Chinas und der USA. Ungleichheiten - regionale wie vererbte Bildungschancen - müssen immer wieder eingegrenzt werden. Der Einfluss von Lobbys ist zu reduzieren. Subventionen für landwirtschaftliche Latifundien sind unverzeihbar. Nur so kann der Green Deal auch Luft und Ernährung verbessern. Die Krisenbudgets müssen in die richtigen Projekte gelenkt werden. Dann kann das europäische Modell noch vorbildlicher werden. Beginnen wir 2021.