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Amtsenthebung statt Twitter-Sperre

Von Otmar Lahodynsky

Gastkommentare
Otmar Lahodynsky war bis 15. Februar Internationaler Präsident der Association of European Journalists (AEJ). Er war Redakteur beim Nahrichtenmagazin "profil".
© Ralph Manfreda

Der Sturm aufs US-Kapitol erfordert nun viel Arbeit für investigative Qualitätsmedien, die Donald Trump stets bekämpft und verhöhnt hat.


Es ist eine Ironie der Geschichte: Ausgerechnet der von Donald Trump bevorzugte Social-Media-Kanal Twitter sperrte das Konto des US-Präsidenten einen Tag lang wegen Verbreitung falscher Nachrichten. Nachdem Trump seine Anhänger zum Sturm auf das US-Kapitol aufgerufen hatte, setzte er mehrere Tweets ab. Als die "Zitadelle der Demokratie" (Joe Biden) von einem wütenden Mob besetzt und verwüstet worden war, schrieb er, so etwas passiere eben, wenn "ein Erdrutschsieg gestohlen" werde. Nach der Aufhebung der Twitter-Sperre verurteilte Trump plötzlich die Ausschreitungen als "abscheulichen Angriff" und versprach, sich nun für einen geordneten Machtwechsel einzusetzen. Aber auch in diesem Tweet erklärte er, die "unglaubliche Reise" habe erst begonnen. Am Freitagabend sperrte das US-Unternehmen den persönlichen Account des scheidenden Staatschefs "dauerhaft", weil "das Risiko weiterer Anstiftung zur Gewalt" bestehe, wie es hieß.

Zuvor hatte es von seinen engsten Vertrauten im Kongress noch einen Versuch gegeben, die Ausschreitungen der linken "Antifa"-Bewegung zuzuschreiben. Diese Fake-News entlarvte die "Washington Post" umgehend durch Recherchen. "Democracy dies in darkness", lautet das Motto der renommierten Zeitung, die zusammen mit den wichtigsten US-Qualitätsmedien von Trump gern als Fake-News-Verbreiter verhöhnt wurde. Dafür empfahl er Medien, die seine Lügen und Verdrehungen für bare Münze nahmen. Als sein langjähriger Lieblingssender Fox News frühzeitig Joe Biden als Wahlsieger ausrief, forderte Trump seine Anhänger auf, zu den ultrarechten TV-Kanälen Newsmax und One America News zu wechseln. Newsmax überholte tatsächlich Fox News in der jüngeren Zielgruppe.

Auch für Twitter nannte Trump schon eine Alternative: Parler heißt sie und stützt sich auf rechtsextreme und rassistische Ideologie, Antisemitismus und obskure Verschwörungsnetzwerke wie QAnon, für die Trump wiederholt Sympathien zeigte. Der britische "Economist" hat recht mit der Forderung, dass Soziale Medien nicht länger bloß von Managern kontrolliert werden dürfen.

Für investigative Journalisten gibt es nun viel Arbeit in den USA: Es muss rasch aufgeklärt werden, wieso das Kapitol trotz Ankündigung des Aufmarschs zehntausender Trump-Anhänger nicht stärker bewacht war. Laut "New York Times" blockierte Trump stundenlang den Einsatz der Nationalgarde. Bei den "Black Lives Matter"-Protesten im Sommer waren Sicherheitskräfte martialisch und in großer Zahl aufmarschiert. Die US-Justiz muss nun gegen Trump wegen Aufrufs zum Staatsstreich ermitteln. Und die Republikaner sollten sich endlich aus Trumps Geiselhaft befreien und sicherstellen, dass sich dieser Soziopath nicht in vier Jahren erneut für das höchste Amt bewerben kann. Dass er nie ins Weiße Haus hätte einziehen dürfen, war nicht erst seit seinem Aufruf zum Kapitol-Sturm klar.

Eigentlich wäre eine Amtsenthebung, wie sie der 25. Zusatz zur US-Verfassung vorsieht, ratsam. Denn bis 20. Jänner kann Trump noch einiges anstellen. Zumindest die Atomwaffen-Codes sollten ihm entzogen werden.