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Ein schlechter Präzedenzfall

Von Ralph Janik

Gastkommentare

Donald Trump wurde nach dem Sturm auf das Kapitol von Facebook und Twitter gesperrt - für die einen ist es eine längst überfällige Reaktion, für die anderen ein Angriff auf die Meinungsfreiheit.


Streng genommen ist der scheidende US-Präsident ja nur einer unter sehr vielen. Das Web 2.0 hat aus Konsumenten (potenzielle) Produzenten politischer Inhalte gemacht. YouTube-Videos, Podcasts, Blogs oder Twitter-Accounts machen der Vorherrschaft der traditionellen Medien seit Jahren ernsthafte Konkurrenz. Der Informations- und Meinungsbasar hat heute mehr zu bieten als je zuvor.

Allerdings kann man über die Qualität der Waren streiten: Des einen scharfe Kritik ist des anderen Schmutzkübelkampagne, des einen "wissenschaftliche Fakten" sind des anderen "Fake News", des einen Aufdeckerjournalismus ist des anderen Verleumdung, des einen Sorgen vor den Auswirkungen von Einwanderung ist des anderen Hetze.

Die Grenzen der Meinungsfreiheit

Was uns zu den Grenzen der Meinungsfreiheit bringt. So spricht Artikel 19 des (UN-)Pakts über bürgerliche und politische Grundrechte - es ist einer der zwei zentralen globalen Menschenrechtsverträge, dem neben den USA noch 172 weitere Länder angehören - in diesem Zusammenhang von "besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung". Er erlaubt daher Einschränkungen aus Gründen wie der Volksgesundheit oder der öffentlichen Ordnung. Der US Supreme Court etwa hat schon 1925 geurteilt, dass Aufrufe zum gewaltsamen Regierungssturz nicht von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt sind (und daher entsprechend bestraft werden können).

Allerdings können Regierungen damit den Ausschluss unliebsamer Kritiker aus dem öffentlichen Diskurs begründen. Wo Ausnahme, da Missbrauch. Social-Media-Plattformen tragen dabei viel Verantwortung, wohl zu viel. Schon 2011 warnte der damalige UN-Sonderberichterstatter für freie Meinungsäußerung davor, dass sie aus Sorge vor den möglichen rechtlichen und finanziellen Folgen im Zweifel lieber zu viel als zu wenig zensieren würden ("overcensoring"). Dazu komme die fehlende Transparenz und Nachvollziehbarkeit, was den eventuell dahinterstehenden politischen Druck oft verschleiere.

Die Sperre Donald Trumps ist allerdings ein schlechtes Beispiel für diese berechtigten (!) Sorgen. Zum einen ist er kein Dissident in einem autokratischen Staat, sondern der (noch) amtierende Präsident der USA. Trump hat genügend Möglichkeiten, sich auf anderem Weg an die Öffentlichkeit zu richten, von alternativen digitalen Plattformen wie Parler (die derzeit ebenfalls in Bedrängnis gerät) bis hin zu traditionellen Pressekonferenzen oder TV-Auftritten (zumal er seine Absicht bekundet hat, ein eigenes Medienimperium aufzubauen). Zum anderen muss man bei Trump die realen Auswirkungen seines Social-Media-Verhaltens bedenken. Hier geht es um mehr als bloße Worte. Die oben genannten Grenzen der Meinungsfreiheit gelten auch in den USA.

Die US-Verfassung verpflichtet nur den Staat

Abgesehen davon stellt sich diese Frage im Zusammenhang mit Trump und Twitter (oder Facebook) eigentlich nicht. In den USA wird schließlich streng zwischen privaten und öffentlichen Foren unterschieden. Die im ersten Zusatzartikel zur US-Verfassung verbriefte Meinungs- und Pressefreiheit verpflichtet nur den Staat. Zwar wird immer wieder, unter anderem durch die American Bar Association - den größten Berufsverband für US-Anwälte -, angemerkt, dass vor allem größere Privatunternehmen die Meinungsfreiheit verletzen können und der erste Zusatzartikel entsprechend ausgedehnt werden sollte. Die aktuelle Rechtsprechung nimmt allerdings selbst Social-Media-Giganten aus.

Erst jüngst urteilte ein US-Gericht in zweiter Instanz, dass YouTube und Google eine Art "digitales Hausrecht" zukommt: So wie Bars oder Diskotheken rüpelhafte Gäste rausschmeißen und mit Lokalverbot belegen können, dürfen digitale Plattformen jene Nutzer temporär oder dauerhaft sperren, die beharrlich ihre Richtlinien verletzen. Twitter selbst betonte in Bezug auf die Sperre Trumps, dass Staats- und Regierungschefs oder andere gewählte Politiker "nicht gänzlich über unseren Regeln stehen und Twitter nicht für Gewaltaufrufe nutzen können".

Man darf sich fragen, wie Gerichte im Falle einer Klage Trumps urteilen würden. Dabei spielt auch seine politische Sonderstellung (qua seines Amtes) eine entscheidende Rolle. Hier lohnt ein Blick zu unseren deutschen Nachbarn, wo das Bundesverfassungsgericht im Mai 2019 die Sperre einer weit rechts gerichteten Partei (Der III. Weg) durch Facebook aufhob. Begründet wurde dieser Beschluss damit, dass die Partei bei den (EU-)Wahlen zugelassen war und die US-Plattform aufgrund ihrer enormen Nutzerzahl nun einmal "das mit Abstand bedeutsamste Soziale Netzwerk" sei.

Selbstredend unterscheidet sich das politische und rechtliche System der USA stark vom deutschen. Wir dürfen gerade live dabei zusehen, wie unterschiedliche Länder dieselben oder zumindest ähnliche Fragen beantworten. Alleine deshalb muss man weitere Regeln und (höchst-)gerichtliche Rechtsprechung zur Sperre politischer Accounts durch Social-Media-Konzerne im Auge behalten. Irgendwann vielleicht auch in Österreich.