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Schnee, ein Messinstrument in der Stadt

Von Tadej Brezina und Ulrich Leth

Gastkommentare

Im Winter zeigt sich der wahre Platzbedarf auf Fahrbahnen und Gehsteigen.


"Großvati, schau, es hat geschneit!" Petzi Bärs kindliche Begeisterung für Schnee resoniert in uns allen drinnen. Gefühlt ist Schnee in der Stadt im Verlauf der vergangenen Jahre ja seltener geworden. Aber wenn er einmal fällt, dann bedient er mancherlei Wahrnehmungen und Emotionen in der Bevölkerung. So sehen Kinder (und Ältere) darin die Möglichkeit, sich nach Herzenslust auszutoben. Auf der anderen Seite sehen Autofahrer hauptsächlich die Erschwernis. Schnee ist eine Projektionsfläche für Romantik, hat aber ebenso nervende Aspekte wie Schneematsch. Guten Beobachtern dient er auch als Messinstrument, Illustration, Vergrößerungsglas für mancherlei in unseren Siedlungen, was in der schneelosen Zeit nicht vordergründig erkennbar ist:

Unter dem Begriff "Sneckdown" sind die Geh- und Fahrspuren im Schnee bekannt. Diese zeigen häufig, dass die tatsächlich benötigte Fahrbahnfläche meist deutlich kleiner ist als die zur Verfügung gestellte. Wer kennt sie nicht, die angezuckerten großflächigen Kreuzungen mit mittig verlaufenden Spuren? Im Sommer mag die Größe der Fahrbahnflächen alternativlos erscheinen, die Fachleute werden sie schon nach den Bedürfnissen geplant und ausgeführt haben. Da bleibt halt nur der Rest für die Bürgersteige. Frisch gefallener Schnee entlarvt aber dieses Trugbild schnell und einleuchtend und zeigt auf, wo Flächen sinnvoll anderweitig genutzt werden könnten.

Wie die öffentliche Verwaltung ans Räumen herangeht und wo sie den Schnee lagert, ist ein Spiegelbild der Prioritäten und Machtverhältnisse bei der Platzverteilung. Große Pflüge schieben den Schnee von den Fahrbahnen zur Seite und türmen ihn zu Haufen auf. Es ist großflächig gelebte Praxis, dass diese Anhäufungen oft auf Fußgänger- und Radverkehrsanlagen stattfinden. Dass Radverkehrsanlagen überhaupt halbwegs zeitnahe und verlässlich geräumt werden, ist erst eine zaghafte Errungenschaft der jüngeren Vergangenheit. Viele schöne Worte mögen im Sommer den sanften Verkehrsarten gewidmet werden, bei der winterlichen Praxis zeigt sich die nach wie vor gelebte Priorität: der Autoverkehr.

Das Wesen der vorrangigen Räumung der Fahrbahnen führt auch zu Anhäufungen rund um und auf abgestellten, bereits eingeschneiten Autos. Sind die Temperaturen niedrig genug und hält sich der Schnee ein paar Tage, so ist er auch ein Indikator für die Nutzungshäufigkeit. Und der Schnee zeigt uns, dass Fahrzeuge nicht nur 90 Prozent des Tages, sondern offensichtlich auch darüber hinaus nicht bewegt werden. Folglich ist Schnee auch ein Indikator dafür, dass sich Menschen Mobilitätsalternativen suchen und diese auch finden - vom ersatzweisen Zuhausebleiben bis zur Wahl eines anderen Verkehrsmittels statt des eigenen, eingeschneiten Autos. Das Auto ist also gar nicht so alternativlos, wie viele glauben machen wollen.

Schnee hat auch eine indirekte Wirkung und ist für die Einengung der Gehsteige durch Verkehrsschilder verantwortlich. Viele (sicherheitsrelevante) Verordnungen (Vorrang, Stopptafeln, Zebrastreifen) dürfen nicht rein durch Bodenmarkierungen kundgemacht werden, sie wären ja bei Schnee unsichtbar.

Nutzen wir den Schnee doch für eine bessere Gestaltung menschengerechter Straßenräume - der Nutzen käme uns auch in den anderen Jahreszeiten zugute.