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Die Labour-Partei an einem Scheideweg

Von Liam Hoare

Gastkommentare
Liam Hoare ist Europe Editor des "Moment Magazine" und schreibt den Newsletter "The Vienna Briefing". Er ist Brite, lebt in Wien und schreibt über Politik, Kultur und jüdisches Leben in Europa für britische und US-Publikationen.
© privat

Parteichef Keir Starmer steht vor einer Wahl zwischen Verbundenheit mit der jüdischen Gemeinde und Geschlossenheit unter den Genossen.


Labour steckt erneut in einem inneren Konflikt über Antisemitismus - ein Thema, das die britische Opposition seit 2015 spaltet. Seit Mai 2019 untersucht die Kommission für Gleichstellung und Menschenrechte (EHRC) Antisemitismus in der Partei. Im Oktober veröffentlichte die unabhängige öffentliche Körperschaft ihren Bericht, der zu dem Schluss kam, dass die ehemalige Parteiführung politischen Einfluss auf die interne Bearbeitung von Antisemitismusbeschwerden geübt habe und die Verantwortung für rechtswidrige Handlungen in Form von Mobbing und Diskriminierung von jüdischer Genossinnen und Genossen trage.

Wenige Minuten nach der Veröffentlichung des vernichtenden EHRC-Berichts postete Ex-Parteichef Jeremy Corbyn auf Facebook, das Ausmaß des Antisemitismusproblems werde von seinen Gegnern innerhalb und außerhalb der Partei sowie in den Medien aus politischen Gründen stark übertrieben. Er wurde prompt von der Partei suspendiert, was allerdings am 17. November ein interner Disziplinarausschuss aufgehoben hat. Corbyn ist aber nun auf Beschluss des neuen Parteichefs Keir Starmer ein wilder Abgeordneter.

Nach seiner Wahl zum Parteichef im April 2020 übertrug Starmer sich selbst die Aufgabe, die Beziehungen zwischen der Labour-Partei und dem Jewish Labour Movement, dem Board of Deputies of British Jews und anderen Organen der britischen jüdischen Gemeinde zu kitten. Corbyn hatte diese Institutionen ignoriert und sich stattdessen an kleine, nicht- oder gar antizionistische Splittergruppen in der Community wie etwa die Jewish Voice for Labour gehalten. Viele jüdische Parteimitglieder traten zwischen 2015 und 2019 aus der Partei aus.

Starmer hat auch noch eine andere Mission: Die Partei braucht Einigkeit, und der interne Machtkampf zwischen dem linksextremen Flügel, zu dem Corbyn und seine Gesinnungsgenossen gehören, und dem rechten muss aufhören, um ein weiteres Jahrzehnt in der Opposition zu vermeiden. Doch Verbundenheit mit der jüdischen Gemeinde und Geschlossenheit in der Partei könnten zwei unvereinbare Ziele sein.

Der Judenhass in der Partei war eng an Corbyns Führung gekoppelt. In seinem einflussreichen Buch "The Left’s Jewish Problem" schrieb Dave Rich, die antikapitalistische, antizionistische und für Verschwörungstheorien prädisponierte Politik der "Post-1967 New Left" sei von Antisemitismus geprägt. Die Idee, dass der Zionismus eine rassistische und imperialistische Ideologie ist, könne Hand in Hand mit der Meinung gehen, die Juden seien an den angeblichen Verbrechen Israels beteiligt und die Palästinenser die Opfer eines zweiten Holocausts.

Parteichef Starmer steht an einem Scheideweg. Seine Kompromissentscheidung, seinen Vorgänger Corbyn nicht wieder in den Labour-Parlamentsklub aufzunehmen, obwohl er weiterhin Parteimitglied ist, gleicht dem Versuch, ein Kamel durch ein Nadelöhr zu führen und eine für beide Seiten annehmbare Lösung zu finden. Diese Weder-noch-Strategie kann aber nicht mehr lange halten.