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Fünf Illusionen der "Ethik für alle"-Befürworter

Von Franz Graf-Stuhlhofer

Gastkommentare
Franz Graf-Stuhlhofer ist Lehrbeauftragter an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (www.graf-stuhlhofer.at).
© privat

Ein Volksbegehren soll den Religionsunterricht zurückdrängen.


In einem modernen Religionsunterricht werden oft ethische Themen diskutiert. Für jene Schüler, die nicht an Religion teilnehmen, gibt es seit Jahrzehnten das Fach Ethik als Schulversuch. Dieses Modell - Teilnahme an Religion oder an Ethik - soll es ab dem heurigen Herbst an allen Oberstufen geben. Dem Volksbegehren "Ethik für alle" ist das aber zu wenig: Die Initiatoren fordern Ethik als zusätzliches Fach für alle Schüler, also auch für jene, die ohnehin am Religionsunterricht teilnehmen. Das Ethikvolksbegehren wird von vielen unterstützt, die den Religionsunterricht beargwöhnen. Diese gehen aber von mehreren Illusionen aus, die hier entkräftet werden:

Die Ethikvolksbegehrer meinen, das Vertrautwerden mit ethischen Werten werde nur durch das Fach Ethik erreicht, nicht aber durch den Religionsunterricht. Tatsächlich geht es aber in diesem ungefähr zur Hälfte um ethische Themen.

Viele Kritiker meinen, dass es zum Beispiel im katholischen Religionsunterricht hauptsächlich um die katholische Lehre gehen würde. Das ist aber nicht der Fall. Auch wenn die jeweils eigene Religion einen Schwerpunkt darstellt, so sind auch im katholischen oder im evangelischen Religionsunterricht die anderen Religionen wie Islam oder Buddhismus wichtige Themen.

Den Religionslehrern wird unterstellt, sich eng an die offizielle Lehre ihrer Religion zu binden und zu versuchen, die Schüler in diesem Sinn zu beeinflussen. Ein katholischer Religionslehrer würde demnach möglichst die durch Dogmen und päpstliche Verlautbarungen festgelegte katholische Lehre verteidigen. Nach meinem Eindruck an Wiener Schulen sind die Religionslehrer jedoch mehrheitlich nicht religiös-konservativ, sondern eher humanistisch und liberal eingestellt.

Die Befürworter des Ethikunterrichts für alle scheinen auch von der Ansicht auszugehen, dass zwar Religionslehrer durch ihre Religionszugehörigkeit gebunden sind (also die Behandlung von Themen jeweils in bestimmte Richtungen lenken), aber Ethiklehrer quasi neutral und objektiv wären - weil frei von religiöser Bindung. Aber auch Ethiklehrer haben ihre Meinungen. Ob sie andere Ansichten im Unterricht zulassen oder die Schüler im Sinne ihrer eigenen Meinung zu beeinflussen versuchen, hängt von der jeweiligen Einstellung des Lehrers ab - das gilt für Ethiklehrer genauso wie für Religionslehrer. Es ist bemerkenswert, dass die Ethikvolksbegehrer besonderen Argwohn gegenüber Religionslehrern haben, sodass sie "Unvereinbarkeitsregeln für Ethik- und zugleich ReligionslehrerInnen" fordern.

Dass Schüler ein Verständnis für verschiedene Formen von Religiosität erwerben, wird allseits als wichtig angesehen. Die Befürworter des Ethikunterrichts meinen, solche Kenntnisse könnten ja auch im Ethikunterricht vermittelt werden. Aber der Ethiklehrer selbst erwirbt in seiner Ausbildung lediglich Grundkenntnisse über die verschiedenen Religionen. Solche reichen nicht aus, um die religiöse Landschaft mit all ihren Facetten zu erfassen. Dazu ist ein ausgebildeter Religionslehrer eher in der Lage.

Das Nebeneinander von Ethik und Religion - mit Wahlmöglichkeit für die Schüler - ist ein gutes bestehendes Modell. Warten wir ab, wie es sich ab Herbst in der Praxis entwickelt.