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Die EU-Zukunftsdebatte braucht klare Ansagen

Von Paul Schmidt

Gastkommentare
Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.
© privat

Drängende Fragen sollte ein breit gestreuter Mix an Akteuren gemeinsam beantworten.


Die Zeit vergeht, Auffassungsunterschiede bleiben bestehen. Nicht zuletzt das Scheitern des Spitzenkandidatensystems bei den vergangenen EU-Wahlen und die Rechtsstaatlichkeits- und Wertedebatte hatten dazu geführt, dass Fragen der Demokratie, Legitimation und Effizienz der europäischen Entscheidungsverfahren wieder verstärkt in den Vordergrund rückten. Eine umfassende Konferenz zur Zukunft Europas sollte neue Wege finden und ohne Tabus Lösungen erarbeiten.

Die Corona-Pandemie hat diese Planung allerdings merklich durcheinandergebracht. Es fehlt der Zukunftsdebatte nach wie vor ein Datum zum Loslegen und insbesondere ein ergebnisorientiertes Format mit klar definiertem Mandat. Dieses ist jedoch Voraussetzung, um über Vor- und Nachteile von Reformideen zu diskutieren und dann umso zügiger ins Handeln zu kommen. Sollte sich die Konferenz als abstrakt gehaltener Meinungsaustausch und bloßer Ankündigungswettbewerb entpuppen, würde sie ihrem Ziel, eine effizientere und demokratischere Union zu schaffen, zuwiderlaufen und nur zu Desillusionierung führen.

Daher sollte die drängenden Fragen ein breit gestreuter Mix an Akteuren gemeinsam beantworten, mit dem Mut für nachhaltige und zeitnahe Entscheidungen: Welche konkreten gesundheits-, wirtschafts- und sozialpolitischen Lehren ziehen wir aus der Corona-Krise? Was muss getan werden, um unsere Klimaziele tatsächlich zu erreichen? Wie kann das digitale Potenzial gehoben werden, die Kontrolle und gerechte Besteuerung der Tech-Giganten gelingen? Was braucht die EU, um auf aktuelle Bedrohungsszenarien besser vorbereitet zu sein? Wie soll ihr geopolitischer Aktionsradius erweitert werden? Wie kann ihre Asyl- und Migrationspolitik aus der Sackgasse herausgeführt werden? Wie schaffen wir es, die Reformanstrengungen am Westbalkan stärker zu fördern? Und wie müsste ein institutioneller Rahmen der EU aussehen, um ihre Funktionsweise zu verbessern?

In der Zukunftskonferenz sollen die Zivilgesellschaft als gleichberechtigter Partner eingebunden und in Diskussionsforen Meinungen und Vorschläge gesammelt werden. In welcher Form letztlich ihr Input in den Reformprozess einfließen wird, ist dabei noch nicht überliefert. Eine wichtige Etappe der Neuorientierung wäre ein solcher Debattenreigen in den Mitgliedsländern jedoch allemal. Ein ehrlicher Ideenaustausch, der von europäischer Seite nicht nur begrüßt, sondern auch tatsächlich berücksichtigt würde, brächte jedenfalls notwendige Dynamik und Transparenz in die öffentliche Debatte, würde horizonterweiternd wirken, zu einem dezentralen Nachdenken in Städten und Gemeinden motivieren und damit vor allem auch den politischen Reformwillen und die europapolitischen Ressourcen in den EU-Regierungsvierteln fördern und einfordern.

Nach den vielen Veränderungen des vergangenen Jahrzehnts ist es höchste Zeit, die EU neu aufzustellen, effizienter und krisenresistenter zu machen. Je früher der Startschuss zur Zukunftsdebatte fällt, desto besser. Die Formfrage ist dabei letztlich sekundär. Am Schluss zählt das Ergebnis.