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Kehrt die außenpolitische Paralyse der USA zurück?

Von Bernhard Seyringer

Gastkommentare
Bernhard Seyringer ist Politikanalyst, Gründer des Thinktanks MRV Research und Autor von "No more hide and bide: Chinas diplomatische Strategien".
© privat

Joe Bidens Personalpolitik löst Unbehagen in Bezug auf China aus.


Unter asiatischen Sicherheitsexperten kursiert folgender Witz: Wird US-Präsident Joe Biden einer chinesischen Invasion in Taiwan zustimmen? Ja, wenn Xi Jinping ihm garantiert, sie klimaneutral durchzuführen. Viele Verbündete blicken mit Sorge auf die künftige außenpolitische Ausrichtung der USA. Man hat sich an Donald Trumps oft chaotischen Politikstil gewöhnt. Was aber Unbehagen auslöst, ist die mögliche Rückkehr verschiedener Schlüsselakteure aus der Administration Barack Obamas, deren Bereitschaft, chinesische Aggressionen zu ignorieren, um Pekings Kooperation im Bereich Klimaschutz zu erkaufen, unvergessen bleibt. Antony Blinkens Rückkehr als Außenminister ist möglicherweise nur der erste Schritt.

Zweifellos ist Biden der US-Präsident mit der langjährigsten außenpolitischen Erfahrung. Zwischen 2000 und 2001, als Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses im US-Senat, war er wesentlich daran beteiligt, Chinas WTO-Beitritt zu ermöglichen. In den acht Jahren seiner Vizepräsidentschaft verkörperte er stets den liberalen Internationalismus, dessen Grundaxiom besagt, dass ökonomische Integration quasi automatisch zu politischer Liberalisierung führt - eine Haltung, die in seiner Kampagne als Makel galt.

Tatsächlich hat sich nicht nur Bidens Sichtweise auf China verändert, sondern der Tonfall sämtlicher Berater aus der Obama-Administration. Blinken, früherer Vize-Außenminister, und Jake Sullivan, ehemaliger Sicherheitsberater, betonen das Festhalten an der aktuellen US-Position in der Handelspolitik. Begründet wird dieser jüngste Meinungsumschwung damit, dass das China der Gegenwart ein völlig anders agierender Akteur sei. In Wahrheit wurde China allerdings bereits 2009 zu einem äußerst unkooperativen Verhandlungspartner, der mehrfach versuchte, die Obama-Administration diplomatisch zu übertölpeln. Auch deshalb kursiert in Washington seit 2017 die von beiden Parteien getragene Erkenntnis, dass der politische Kurs der Einbindung Chinas um jeden Preis ein Fehler war. Das hatten auch Bidens früherer Sicherheitsberater Ely Ratner und Kenneth Lieberthal, unter Obama zuständig für Ostasien, in einem Artikel in "Foreign Affairs" dargelegt.

Die Kritiker der Beibehaltung der China-Politik von Präsident Trump aus Bidens eigenem Lager streben nach einer Rückkehr zur Politik der weitreichenden Kooperationen mit Peking in den Bereichen Menschenrechte und Klimaschutz. Sie setzen damit voraus, dass das chinesische Regime diese ebenfalls sucht und einzig vom Wollen der US-Regierung abhängt. Bei den Menschenrechten weiß Biden, dass er sich im Fall konkreter Schritte des Weißen Hauses gegen China auf seine europäischen Partner nicht verlassen könnte. Und eine Kooperation beim Klimaschutz würde sich wohl nur zu einem unverhältnismäßigen Preis erkaufen lassen.

Das Problem, vor dem Biden als US-Präsident stehen wird, ist, dass er sich zwischen den außen- und sicherheitspolitischen Interessen der USA und ihrer Verbündeten oder den politischen Vorlieben seiner Anhänger entscheiden muss. Ein äußerst heikler Drahtseilakt, mit der Gefahr der Rückkehr der politisch-korrekten Paralyse der Obama-Jahre.