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Polens Regionen in Gefahr

Von Franz Schausberger

Gastkommentare

Die Regierung schickt sich an, gegen EU-Grundsätze zu verstoßen.


Auf EU-Ebene drehte sich die Diskussion um Polen zuletzt fast ausschließlich um die Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz, die Blockade des EU-Finanzrahmens samt Recovery-Fund und des Grünen Deals sowie die Verschärfung der Abtreibungsgesetze. Doch unbemerkt von der europäischen Öffentlichkeit schickt sich Polens Regierung auf Druck von PiS-Chef Jarosaw Kaczynski an, die bewährte regionale Struktur des polnischen Staates schrittweise im Sinne ihres parteipolitischen Interesses zu zerstören. Hier geht es nicht nur um ein innenpolitisches Thema, sondern um einen eklatanten Verstoß gegen weitere EU-Grundsätze: Subsidiarität, Multilevel-Governance, Selbstbestimmung und Demokratie.

Schon im Herbst 2019 deutete Kaczynski an, seine nationalkonservative Regierungspartei PiS beabsichtige eine politisch-administrative Trennung der Woiwodschaft Masowien in die Regionen Warschau (Metropolregion Warschau) und Mazovia (ländliche Zone). Nun werden die Pläne vorangetrieben. Die Zentralregierung hat den Druck auf die politisch unliebsamen Woiwodschaften durch Reduktion finanzieller Ressourcen schon länger erhöht.

Masowien, die größte und mit 5,3 Millionen einwohnerstärkste der 16 Woiwodschaften Polens, umfasst die Hauptstadt Warschau und die Region rundherum. Die Hauptstadt hat rund 1,8 Millionen Einwohner, die sie umgebende Region 3,6 Millionen. Warschau war schon im Mittelalter das Herz dieser Region. Nach dem Ende des zentralistischen kommunistischen Systems wurde zur Dezentralisierung und Wiederherstellung der regionalen Selbstverwaltung im Zuge der Gebietsreform 1999 Masowien als historische Region wieder geschaffen. In der Zeit der NS-Besatzung war die Region getrennt in den Distrikt Warschau und den Distrikt Radom, wie man es jetzt offensichtlich wieder plant. Polens postkommunistische Gebietsreform wurde oft als gelungenes Beispiel für andere neue EU-Staaten angeführt.

Dabei muss man beachten, dass Polen trotz der Dezentralisierungen ein zentralistisch organisierter Staat geblieben ist. Die Autonomie der Woiwodschaften ist beschränkt, ihre Gesetzgebungskompetenzen sind sehr begrenzt. Jede Woiwodschaft hat ein eigenes Regionalparlament (Sejmik) und eine von diesem gewählte Regionalregierung unter Vorsitz eines Marschalls. Jede gewählte Woiwodschaftsregierung hat einen von der Zentralregierung bestellten Woiwoden als Aufpasser an der Seite, der die Selbstverwaltung der Woiwodschaften, Landkreise und Gemeinden kontrolliert und natürlich von der regierenden Partei gestellt wird.

Sozioökonomisch gefährlich

Offenbar ist der PiS ein Dorn im Auge, dass der angesehene Arzt und Gesundheitsmanager Adam Struzik von der oppositionellen Polnischen Volkspartei schon seit 2001 mehrfach wiedergewählter Marschall von Masowien ist und der von der christlich-liberalen Bürgerplattform aufgestellte Rafa Trzaskowski im Jahr 2018 zum Warschauer Oberbürgermeister gewählt wurde.

Der Plan, Masowien zu trennen und damit die sich am dynamischsten entwickelnde Region in Polen zu zerstören, entbehrt praktisch aller Argumente. Die PiS hofft wohl, auch wenn Warschau selbst zwar weiter fest in den Händen der Opposition bliebe, auf eine Mehrheit in einer neugeschaffenen ländlichen Region Mazovia rundherum. Da ist es Kaczynski offensichtlich völlig egal, dass die Schaffung einer neuen Verwaltungsstruktur nicht nur sehr teuer wäre, sondern auch die sozioökonomischen Unterschiede in den beiden neuen Regionen verschärfen sowie zu einer Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit und einer Verlangsamung der Entwicklung der gesamten Region - insbesondere der ländlichen Gebiete - führen würde. Die Aufhebung bestehender sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Bindungen würde zu einer Verarmung der ländlichen Gebiete und zur Landflucht in die Metropole Warschau führen, die auch Belastungen für diese mit sich brächte.

In der bestehenden Region speist die einkommensstarke Metropole Warschau das Budget der gesamten Woiwodschaft Masowien, womit innerhalb der Region ein wichtiger Einkommenstransfer stattfindet. Mehr als 53 Prozent der in- und ausländischen Unternehmen befinden sich in Warschau und weitere 22 Prozent in Poviats direkt daneben. Damit werden alle Kulturinstitutionen, Spitäler und Verkehrswege in der ganzen Region Masowien aufrecht erhalten. Nach der Trennung von Warschau hätte die neue ländliche Region Mazovia zwar 86 Prozent der Fläche Masowiens, aber nur 13 Prozent der jetzigen Steuereinnahmen, um die gleichen öffentlichen Aufgaben zu erfüllen.

Die Verwaltungsreform 1999 sollte wirtschaftlich starke Regionen schaffen - dem widerspräche die Aufteilung Masowiens, die eines der ärmsten Gebiete in Polen schaffen würde. Sollte sie gelingen, drohen noch weitere Trennungen und Zusammenlegungen historischer Regionen aus rein parteipolitischen und wahltaktischen Gründen. Auch hier gilt für Europa: Wehret den Anfängen!