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Der Sommer des Sonderbeauftragten

Von Harald Oberhofer

Gastkommentare
Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und forscht am Wifo.
© Roman Reiter / WU

Im Corona-Fieber verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität.


Im Corona-Fieber verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Brütende Hitze lag über der Stadt. Es war viel zu heiß, um zu arbeiten. Also hatte er nicht getan, worum ihn der Herr Bundesminister gebeten hatte. Er hatte keine Test- und Contact-Tracing-Strategie für den Herbst ausgearbeitet, die Digitalisierung des Gesundheitswesens weiter schleifen lassen, keinen Impfplan erstellt und auch das Fax an den Impfstoffhersteller hatte er nicht abgeschickt. Das war aber auch nicht dringend. Man hatte schließlich schon über die Eckpunkte gesprochen. Unter Freunden braucht man keinen schriftlichen Vertrag. Obwohl, Handschlagqualität wurde leider immer seltener.

Jetzt besuchte er erst einmal den Schanigarten seines Stammcafés. Man musste den Sommer genießen, bevor der nächste Lockdown kam. Sollte er weiterhin zu wenig unternehmen, wäre dieser unvermeidlich, hatten ihn die Wissenschafter gewarnt. Überhaupt die Wissenschafter! Immer jammerten sie, ihnen fehlten die Daten, um profunde Aussagen zu treffen. Er konnte vieles an Kritiken nachvollziehen, nur diese nicht. Man kann eine Epidemie wie diese in Wahrheit nur im Nachhinein aufarbeiten. Und im Nachhinein würden alle Daten vorhanden sein.

Später wollte er noch in der Verbindung vorbeischauen - Sommerfest mit Ministern und Kollegen aus den anderen Ressorts. Mit Verbindungen konnte man es weit bringen in diesem Land, sinnierte er ironisch. So konnte auch ein Humanist wie er an die Schaltstellen der Macht gelangen und dort dem Wohle des Staates und seiner Bürger dienen. Es waren nicht die schlechtesten Zeiten, als Philosophen noch Könige waren.

Andere Disziplinen sah er dagegen kritisch, insbesondere seit ein deutscher Ökonomieprofessor ihn auf Twitter wüst beschimpft hatte. Ignorant, inkompetent und arrogant hatte dieser ihn geheißen. Wer war dieser Parvenü und wie war er zu seiner Professur gelangt? War er überhaupt in einer Verbindung? Langsam geriet er in Rage über die Ökonomenzunft: So einen Schwachsinn, wie die von sich gaben, hatte er schon lange nicht mehr gehört. Nicht nur, aber vor allem in den schwierigen Zeiten der Pandemie brauchte wirklich keiner gute Ratschläge aus der Wissenschaft. Warum überließen sie die Gesundheitspolitik nicht den Profis, die schließlich bisher auch alles im Griff hatten?

Der Deutsche war ja nicht der einzige. Auch einheimische Professoren der Volkswirtschaftslehre fühlten sich bemüßigt, über die Medien Ratschläge zu erteilen. In Linz und in Wien gab es ganze Nester an aufmüpfigen Ökonomen. In ihren Elfenbeintürmen mochten sie ja recht behalten, aber die Realverfassung und der administrative Apparat hatten ihre eigenen Gesetze. Ökonomische, virologische, epidemiologische Erkenntnisse galten für sie nicht und er würde es beweisen.

Zur Beruhigung bestellte er noch einen Einspänner bei Herrn Johann, der ein verordnungskonformes Kinnvisier trug. Er freute sich auf den bevorstehenden Herbst und die ausgedehnten Spaziergänge, die er dann mit dem Herrn Bundesminister unternehmen würde. Und ganz besonders freute er sich schon auf den nächsten Sommer. Wer dann wohl unter ihm Minister sein würde?

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