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Quoten alleine reichen nicht

Von Gudrun Sander

Gastkommentare

Der Einführung des Wahlrechts für Schweizerinnen vor 50 Jahren ging ein jahrzehntelanger, emotionaler Abstimmungskampf voraus. Warum tun wir uns so schwer mit diesen Dingen?


Kaiserin Maria Theresia führte 1774 in ihrer Monarchie die allgemeine Schulpflicht ein. 1964 wurde mit dem "Civil Rights Act" die Rassentrennung in den USA aufgehoben. Und schließlich gewährte 1971 die Schweiz als eines der letzten Länder auch den Frauen das lang ersehnte Wahlrecht. Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich hier aufführen. All diesen Entscheidungen gingen jahrzehntelange, emotionale Diskussionen voraus. Zeugnis davon legen unter anderem die Plakate ab, mit denen in der Schweiz Stimmung gegen das Frauenwahlrecht gemacht wurde.

Die Angst, aus Frauen würden Furien werden (siehe das rechte Plakat), wenn sie wählen, war unbegründet. Genauso sind die Firmen bei der Einführung der Frauenquote nicht bankrottgegangen - im Gegenteil. Denn die Gruppe der Frauen ist genauso heterogen wie jene der Männer. Frauen sind nicht nur Frauen. Sie können gleichzeitig auch Teil anderer Gruppen sein, wie zu Beispiel der Gruppe der Eltern, der Führungskräfte, der People of Color, der LGBTI+ Community, bestimmter Religionsgruppen oder Kulturkreise, bestimmter Bildungs- und Einkommensschichten etc. Im Fachjargon sprechen wir von Intersektionalität. Und so wie es sehr gute und mittelmäßige Manager gibt, gibt es auch sehr gute und mittelmäßige Managerinnen.

Freiwillig auf Privilegien verzichten wird keiner

Knapp 5 Prozent der CEOs der Großfirmen in den OECD-Ländern sind Frauen. Gleichzeitig hatten wir noch nie so viele so gut ausgebildete Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Warum dieser Widerstand gegen Frauenquoten? Es ist nicht wirklich sinnvoll, die zentralen Entscheidungen mehrheitlich einer Gruppe zu überlassen, wenn beide Gruppen gleich gut ausgebildet sind. Rein statistisch werden die Entscheidungen dann wohl schlechter werden. Im Kern geht es auch immer um Machtfragen und Privilegien. Auf der einen Seite wird der bisher ausgeschlossenen Gruppe mit der Einführung von Quotenregelungen formal der Zugang zu Entscheidungen ermöglicht. Sie erhält damit mehr Macht und Einflussmöglichkeiten. Auf der anderen Seite müssen jene, die bisher allein entschieden haben, Macht teilen und Privilegien abgeben. Das tun die wenigsten gern.

Gesetze hängen der Realität immer hinterher. Die wahren Abenteuer beginnen - frei nach André Heller - zuerst im Kopf. Wir müssen uns vorstellen können, dass Frauen fähig sind, gute Politik zu machen, Firmen erfolgreich zu führen, Spitzenforschung zu machen. Und wir müssen uns vorstellen können, dass Männer Kinder wunderbar erziehen können, sich um ihre Eltern kümmern wollen und als Krankenpfleger Erfüllung finden. Doch das alleine genügt nicht.

Quoten beschleunigen den Prozess. Wir wissen aus der Forschung, dass es ein Drittel einer Gruppe braucht, damit sie nicht mehr als Minderheit wahrgenommen wird. Je mehr Frauen wir in Spitzenpositionen sehen, desto "normaler" wird es. In Deutschland ist der Frauenanteil in Aufsichtsräten von 16 Prozent (2011) auf 33 Prozent (2018) gestiegen, nachdem 2014 die Quote eingeführt wurde; in Spanien ist er von 3 Prozent (2009) auf 35 Prozent (2018) gestiegen, in Australien von 8 Prozent (2010) auf 23 Prozent (2016).

Klar ist auch, dass Quoten alleine nicht reichen. Es braucht ergänzende Maßnahmen, um die Frauen ihren Fähigkeiten und ihren Ausbildungen entsprechend in Spitzenpositionen zu bringen. Dazu gehören flexible Arbeitsmodelle, Zugang zu guter und bezahlbarer Kinderbetreuung, Eliminierung der Lohndiskriminierung und Anpassungen von Fehlanreizen im Steuer- und Subventionssystem. Daher braucht es dringend weitere strukturelle Anpassungen, um der bereits gelebten Realität Rechnung zu tragen.

Wenn die Strukturen angepasst sind, wird vieles "normal"

Mehr als drei Viertel der Mütter sind erwerbstätig, mehr als ein Viertel des Haushaltseinkommens von Paaren mit Kindern tragen die Frauen in allen Schichten bei, mehr Frauen als Männer haben heute einen Hochschulabschluss - um nur einige Fakten zu nennen. Diese Fakten - und nicht emotionalisierte Bilder - sollten entscheiden, wie wir unsere Systeme, Institutionen und Strukturen bauen, also Schulen, Kinderbetreuung, Steuersystem, Pensionskassen und Sozialversicherungen etc.

Wie rasch wir fähig sind, Veränderungen umzusetzen, zeigt uns die aktuelle Pandemie. So wie die allgemeine Schulpflicht und das Wahlrecht für Frauen rasch "normal" wurden, werden auch Väter, die sich um ihre Kinder kümmern, Frauen im Topmanagement und partnerschaftliche Lebensmodelle "normal", wenn die Strukturen angepasst sind. Quoten beschleunigen diese Veränderungen, und das ist gut so. Denn nur gemeinsam und unter Nutzung des vollen Potenzials der Frauen und Männer können wir gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft meistern.