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Was die Öffis aus Corona lernen können

Von Michael Schwendinger

Gastkommentare

Das Jahr 2021 sollte ein Wendepunkt bei Verkehrsmaßnahmen werden, um klimafreundliche Mobilität zukunftsfit zu machen.


Eigentlich sollte das Jahr 2021 als "Europäisches Jahr der Schiene" eine europaweite Öffi-Offensive bringen. Doch die Covid-19-Pandemie stellt den öffentlichen Verkehr angesichts der Fahrgastrückgänge vor große Herausforderungen. Nichtsdestotrotz ist er das zentrale Rückgrat auf dem Weg zu einem klimaverträglichen Verkehrssystem. Wie kann der öffentliche Verkehr also gestärkt aus der Covid-19-Krise hervorgehen? Antworten darauf liefern repräsentative Umfragen des VCÖ und der TU Wien unter Österreichs Bevölkerung sowie rund 500 Fachleuten.

Allgemein bewertet die Bevölkerung die konkreten Reaktionen der Verkehrsunternehmen auf die Covid-19-Pandemie rückblickend überwiegend positiv. Jeweils mehr als drei Viertel halten die gesetzten Maßnahmen zur Reduktion der Ansteckungsgefahr für Beschäftigte und Fahrgäste sowie die Informationen rund um die Pandemie in öffentlichen Verkehrsmitteln für eher oder sehr passend. Nichtsdestotrotz gehen 42 Prozent davon aus, dass sich das Image der Öffis verschlechtert hat, nur 12 Prozent sehen hier eine Verbesserung.

Problematisch ist die öffentliche Wahrnehmung bezüglich einer Ansteckung mit Covid-19. 64 Prozent der Bevölkerung gehen von einem eher oder sehr hohen Ansteckungsrisiko in den Öffis aus. Da hilft es auch nichts, dass zahlreiche empirische Studien dieser Einschätzung widersprechen. Zuletzt kam eine deutsche Studie zum Ergebnis, dass die Aerosolübertragung im Supermarkt mit Maske höher ist als im öffentlichen Verkehr mit Maske. Gleichzeitig ist in Österreich das tödliche Unfallrisiko mit dem Pkw mehr als 90 Mal so hoch wie jenes mit der Bahn.

45 Prozent der Bevölkerung rechnen damit, dass in Zukunft mehr mit dem Auto gefahren wird, nur 22 Prozent glauben, dass die Öffis künftig stärker genutzt werden. Hingegen schätzen 32 Prozent der Befragten, dass der öffentliche Nahverkehr nach der Pandemie seltener genutzt wird als davor. Aus Klimaschutzperspektive besteht die Gefahr, dass die Öffis geschwächt und der Autoverkehr gestärkt aus der Covid-19-Krise hervorgehen werden.

Es braucht Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen

Um dies zu verhindern, braucht es Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen: Einerseits sind die öffentlichen Verkehrsunternehmen selbst gefordert, etwa mit häufigeren Verbindungen zur Vermeidung von Stoßzeiten, verstärkten Hygienemaßnahmen, vereinfachtem Ticketing auch über mehrere Verkehrsunternehmen hinweg und Maßnahmen im Bereich Kommunikation. Aber es braucht auch verstärkte politische Maßnahmen. Die Fachleute sehen dabei ein flächendeckendes Parkraummanagement in Ballungsräumen sowie die rasche Umsetzung der ökologischen Steuerreform als am wirkungsvollsten an. Zudem wird auch die rasche Umsetzung eines österreichweiten Öffi-Tickets als wichtige Pull-Maßnahme genannt. Auch die große Mehrheit der Bevölkerung (74 Prozent in einer repräsentativen Umfrage des Instituts TQS) sieht die rasche Umsetzung des geplanten 1-2-3-Tickets als wichtige Maßnahme an.

Ohne einen leistungsfähigen, attraktiven öffentlichen Verkehr ist Klimaverträglichkeit im Verkehr nicht zu erreichen. Das Jahr 2020 war überschattet vom Kampf gegen Covid-19. Die im heurigen Jahr getroffenen und umgesetzten Maßnahmen werden darüber entscheiden, ob die Weichen beim öffentlichen Verkehr in Richtung Aufwärts- oder Abwärtsspirale gestellt werden. Vorkehrungen und Strategien für erhöhten Gesundheitsschutz sind vorausschauend weiterzuentwickeln, insofern Pandemien auch zukünftig nicht auszuschließen sind. Überfüllte Öffis sollten nach der Covid-19-Pandemie eine Erinnerung aus vergangenen Tagen bleiben. Durch häufigere Verbindungen, aber auch mit gestaffelten Beginnzeiten durch verstärkte Kooperation mit Arbeitgebern und Bildungseinrichtungen können Stoßzeiten entzerrt werden.

Um die Arbeitswege auf Klimakurs zu bringen, sind die Unternehmen stärker ins Boot zu holen. Denn betriebliches Mobilitätsmanagement, leistet einen großen Beitrag zur Reduktion des Autopendlerverkehrs, wie Unternehmen wie Berger Logistik in Wörgl, Infineon in Villach oder Thales Austria und Boehringer-Ingelheim in Wien bereits gezeigt haben. Die Bundesregierung hat es in der Hand, durch eine Reform der Pendlerförderung stärkere Anreize zur Nutzung des öffentlichen Verkehrs und des Fahrrads zu setzen.

Ein integriertes, öffentlich zugängliches Mobilitätssystem

Auch Schlange stehen, um ein Ticket zu kaufen, sollte passé sein. Einerseits durch attraktive Gesamtpakete wie das oben genannte 1-2-3 Ticket, andererseits durch einfaches Ticketing auch über mehrere Verkehrsunternehmen hinweg. Einsteigen, ohne vorher nachdenken zu müssen, sollte zum Öffi-Standard werden. Und: Für jene, die seltener oder kürzere Strecken fahren, braucht es ebenfalls überzeugende Angebote. Um auch in Krisenzeiten kein Auto brauchen zu müssen, ist der klassische öffentliche Verkehr zur verlässlichen, vielfältigen, öffentlichen Mobilitätsgrundversorgung weiterzuentwickeln - die auch Bike- und Carsharing sowie nachfragebasierte Mobilitätsdienstleistungen inkludiert.

Das gesamte Angebot an öffentlich zugänglichen Verkehrsmitteln sollte über eine Karte zur Verfügung stehen - unabhängig von Region oder Verkehrsmittelbetreiber. Die Bewältigung der Folgen der Covid-19-Pandemie erfordert ungewöhnliche Maßnahmen und Allianzen. Es ist daran zu arbeiten, dass das Jahr 2021 als wichtiger Wendepunkt in die Geschichte eingeht, an dem aus dem klassischen, nach Bus, Bahn und Bim getrennten Öffentlichen Verkehr ein integriertes, öffentlich zugängliches Mobilitätssystem wird. Nicht nur die Fahrgäste, auch das Klima werden es danken.