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Der verwehrte Segen und der Zweifel

Von Hanneke Friedl

Gastkommentare
Hanneke Friedl ist Research Associate am Department of Old Testament and Hebrew Scriptures der University of Pretoria, Südafrika sowie Mitarbeiterin des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
© privat

Das Schreiben der Glaubenskongregation zu homosexuellen Verbindungen könnte durchdachter sein, als seine Kritiker meinen.


Die öffentlichen Reaktionen auf das vatikanische "Responsum ad dubium" über das Segnen gleichgeschlechtlicher Verbindungen bewegen sich hauptsächlich auf pastoraltheologischer Ebene. Die Argumente beruhen auf Erfahrungen oder Empathie mit persönlichen Schicksalen. Eine durchdachte Reaktion muss aber differenzierter sein. Die Interpretation biblischer Texte und Begriffe spielt eine wichtige Rolle. Wenn Exegeten mit alttestamentlichen Rechtstexten argumentieren, tritt dabei oft ein Aspekt hervor: Gesetze entwickeln sich mit der Zeit weiter. Die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt. Die Kirche, so der Ruf, nicht.

In der Tat muss die Kirche sich spätestens jetzt bewusst sein: Die Zweifelsfrage, das "dubium", worum es hier geht, ist für viele noch nicht beantwortet. Dabei ist zu überlegen: Was ist ein Sakrament oder eine Handlung, die sich daran orientiert? Was ist Segen überhaupt? Das Wort begegnet uns in der biblischen Schöpfungserzählung, wenn Gott das erste Menschenpaar zur Fruchtbarkeit aufruft. Was bedeutet es daher, sich zu vermehren? Müssen wir uns physisch wie emotional um jeden Preis vermehren? Kann Segen unter Umständen heißen, dass wir uns auch zurücknehmen sollen, um auf neue Weise für uns selbst, für andere, für die Gesellschaft nützlich zu werden?

Diese Problembeschreibung soll zeigen, dass das Schreiben der Glaubenskongregation vielleicht durchdachter ist, als manche Kritiker wahrnehmen. Dennoch ist dringend weitere Arbeit zu leisten. Da das "Responsum" Rechtscharakter hat, steht es im Spannungsfeld zwischen Gegebenem und Veränderbarem: Welche Rechtssätze haben dauerhaften Charakter? Welche sind stets neu zu interpretieren? Weil es auf dem kirchlichen Sakramentenverständnis beruht, wäre es technisch genauso unmöglich, die Segnung einer außerehelichen Beziehung zweier verheirateter Personen verschiedenen Geschlechts zu erlauben.

Hier stoßen Recht und Moral aufeinander. Rechtsphilosophisch gesehen müssen alle Beteiligten sich entscheiden: Argumentieren sie intern in einer Art Selbstgespräch über Fragen der persönlichen Überzeugung oder extern über gesellschaftlich bezogene Fragen? Auf die vorliegende Problematik zugespitzt: Hier geht es nicht um allgemeingültige Gesetze von Gravitation, Thermodynamik oder Elektromagnetismus. Wer externalisiert argumentiert, sagt: Fühlen sich zwei Menschen egal welchen Geschlechts zueinander hingezogen, entsteht zwischenmenschliche Wärme, und kommt dies häufig genug vor, muss dies zwingend zur Adaption allgemein geltender gesellschaftlicher Regeln führen. So wird ein induktives Argument zur deduktiv abgeleiteten Wahrheit erhoben.

Schließlich ist festzuhalten, dass die römisch-katholische Kirche eine Weltkirche ist, in der nicht nur die europäische Kultur vertreten ist. Auch in anderen Kulturen ist oft eine anthropologisch zutiefst durchdachte Weisheit anzutreffen. Verantwortungsträger und von ihren Entscheidungen Betroffene sind daher aufgerufen, aneinander nicht zu verzweifeln, sondern gemeinsam weiterhin um Weisheit zu ringen.