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Der "Killer" und seine Außenpolitik

Von Anton Shekhovtsov

Gastkommentare
Dr. Anton Shekhovtsov ist Autor und Politikwissenschafter. Er ist Direktor des Centre for Democratic Integrity. Der gemeinnützige Verein will die liberale Demokratie in Österreich und Europa stärken, indem er (versuchte) externe Einflussnahme in Europa überwacht und analysiert.
© Rahil Ahmad

Wladimir Putin agiert gegenüber dem Westen so, wie ihn aus seiner Sicht der Westen behandelt.


Mit Blick auf das ohnehin angespannte Verhältnis zu Russland erklärte US-Präsident Joe Biden jüngst einem Interview, Russland werde für die Einmischung in die US-Präsidentschaftswahlen 2020 bezahlen. Am selben Tag veröffentlichte der Nationale Sicherheitsrat der USA eine freigegebene Version seines geheimen Berichts über ausländische Bedrohungen für die US-Wahlen, in dem die US-Geheimdienste Versuche aus dem Iran und China identifizierten sowie - in geringerem Maße - Schritte, die auf eine Beeinflussung der Wahlen der libanesischen Hisbollah, Kubas und Venezuelas abzielten. Man geht davon aus, dass Präsident Wladimir Putin und der russische Staat "Einflussoperationen gegen die US-Wahlen 2020 genehmigten und durchführten", um Biden und die Demokraten zu verunglimpfen, Ex-Präsident Donald Trump zu unterstützen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Wahlprozess zu untergraben und die gesellschaftspolitischen Spaltungen in den USA zu vergrößern.

In den vergangenen Jahren hat der Kreml nie eine Einmischung in Wahlen zugegeben. Trotzdem wurde Bidens Interview zum Skandal, aber nicht wegen der Vorwürfe der Wahlbeeinflussung - daran ist man in Moskau schon gewöhnt -, sondern wegen Bidens Ja auf die Frage, ob er Putin für einen "Killer" halte. In den Kreml-freundlichen Kreisen in Russland und anderswo sorgte es natürlich für scharfe Kritik. Russland zog eine seltene Konsequenz und zog seinen Botschafter aus Washington zu Beratungen ab. Außerdem hatte Putin selbst das Bedürfnis, nicht nur einmal, sondern zweimal auf Biden zu reagieren: Er wünschte ihm nicht nur "beste Gesundheit" - eine Anspielung auf Bidens angeblich fragile Gesundheit -, sondern sagte auch: "Wir sehen unsere eigenen Eigenschaften stets in einer anderen Person und denken, dass er ist, wie wie wir. Nach diesem Prinzip bewerten Sie seine Handlungen und bewerten Sie ihn insgesamt." Das ist die transparenteste Erklärung für sein kontroverses Verhalten in Bezug auf die USA und Europa:

Putins Russland tut dem Westen das an, was der Westen Russland antut. Das ist der Kern der paranoiden Fehlinterpretation westlicher Außenpolitik durch den Kreml. Glaubt man, die russische liberale Opposition werde vom Westen gesponsert, dann ist es in Ordnung, eine rechtsextreme Opposition gegen westliche liberal-demokratische Regierungen zu unterstützen. Glaubt man, der Westen instrumentalisiere Menschenrechtsorganisationen, um die diskriminierende Politik Russlands gegenüber religiösen oder sexuellen Minderheiten zu kritisieren, dann sind Versuche, die Polarisierung im Westen zu vergrößern, in Ordnung.

Diese Begründung eines Großteils der russischen Außenpolitik spiegelt sich im oben zitierten Bericht des Nationalen Sicherheitsrates der USA wider: "Russische Beamte sind wahrscheinlich bereit, ein gewisses Risiko bei der Durchführung von Einflussoperationen gegen die USA einzugehen - auch gegen US-Wahlen -, weil sie glauben, dass das Weiße Haus sich in Russland und anderen Ländern ähnlich einmischt und solche Bemühungen im geostrategischen Wettbewerb begrenzt auftreten."