Zum Hauptinhalt springen

MAN - ein Symbol für vergebene Chancen

Von Heinz Högelsberger

Gastkommentare

Das Ringen um die Lkw-Produktion in Steyr wirft ein Schlaglicht auf den Zustand der österreichischen Kfz-Industrie. Statt seinerzeit den Steyr-Daimler-Puch-Konzern zu zerschlagen, hätte man seine Potenziale nutzen müssen.


Vor Kurzem hat der Investor Siegfried Wolf der Belegschaft seine Pläne für das von der Schließung bedrohte MAN-Werk in Steyr vorgestellt. Dies sowie ein offener Brief an Bundeskanzler Sebastian Kurz, in dem die geballte Autolobby ein Ausstiegsdatum für Verbrennungsmotoren ablehnt, werfen bezeichnende Schlaglichter auf den Zustand der österreichischen Kfz-Industrie. Dabei verfügte das Land über einen breit aufgestellten, innovativen Fahrzeughersteller: Steyr-Daimler-Puch. Grund genug, die Geschichte dieses Unternehmens genauer zu beleuchten.

Mit dem Verstaatlichtengesetz von 1946 gelangte Steyr-Daimler-Puch in öffentlichen Besitz. Das Produktionssortiment wuchs und umfasste bald Pkw, Lkw, Geländewagen, Traktoren, Landmaschinen, Wälzlager, Jagdwaffen, Panzer, Mopeds, Fahrräder und Werkzeuge. Noch 1979 lag der Mitarbeiterstand bei rund 23.000 Beschäftigten. 1987 begann die Filetierung des Unternehmens - ironischerweise durch einen vom MAN-Konzern zu Steyr-Daimler-Puch gewechselte Manager.

Nachdem seit 1945 im Grazer Puch-Werk rund zwölf Millionen Zweiräder hergestellt worden waren, stellte man 1987 die Produktion ein. Die Markenrechte übernahm der italienische Piaggio-Konzern. Das gemeinsame Motorenwerk wurde an BMW verkauft, die Bussparte an Volvo, die Traktorenerzeugung an Fiat. 1990 veräußerte man die Lkw-Sparte an den MAN-Konzern. Als Reaktion kam es in Steyr zu einem einwöchigen Streik, an dem 1.500 Beschäftigte teilnahmen. Auslöser waren Kündigungslisten und die Befürchtung, wichtiges Know-how könnte verloren gehen. Dies war nicht unberechtigt, denn aus einem Technologieführer in Sachen Lkw-Antriebe wurde im Lauf der Jahre ein reines Fertigungs- und Lackierwerk.

1998 wurden dann die verbliebenen Reste des Steyr-Daimler-Puch-Konzerns extrem billig an Magna abgegeben. Laut dem damaligen Steyr-Daimler-Puch-Direktor Rudolf Streicher, hinter dessen Rücken die Verkaufsverhandlungen geführt wurden, lag der Preis bei zwei Drittel des tatsächlichen Wertes. Gerhard Randa, zum Zeitpunkt des Verkaufes Direktor der Eigentümerin Bank Austria, saß praktischerweise auch im Magna-Aufsichtsrat und wechselte später in den Magna-Vorstand. Das kann eine Erklärung für dieses "Schnäppchen" sein. Auf Seiten von Magna wickelte ein gewisser Siegfried Wolf den Deal ab.

Verdächtig rasch gab Magna die Panzerproduktion für kolportierte 50 Millionen Schilling - also extrem preisgünstig - an den Ex-Steyr-Manager Hans Michael Malzacher weiter. Dieser verkaufte die Firma schon wenige Jahre später um ein Mehrfaches an den US-Rüstungskonzern General Dynamics. Zahlreiche aktuelle Player der österreichischen Kfz-Industrie entstanden aus der Asche des Steyr-Konzerns. Für die Zerschlagung des Steyr-Daimler-Puch-Konzerns waren neben realen wirtschaftlichen und strukturellen Problemen auch Inkompetenz, Strategielosigkeit und persönliche Bereicherung ausschlaggebend.

Gewerbeverkehr könnte längst elektrifiziert sein

Was Steyr-Daimler-Puch jahrzehntelang auszeichnete, waren die Kreativität der Konstrukteure, die hohe Qualifikation der Beschäftigten, ein breites Produktportfolio mit großer Fertigungstiefe sowie vorbildliche Sozialstandards. Strategische Entscheidungen konnten in Österreich getroffen werden; umso mehr, da ja das Unternehmen in öffentlicher Hand war. Drei Beispiele sollen das Potenzial illustrieren:

Bereits 1972 - also vor einem halben Jahrhundert - kam das Puch-Elektromoped mit durchaus passablen Daten auf den Markt: 500-Watt-Motor, 37 km/h Höchstgeschwindigkeit und gut 50 Kilometer Reichweite. Dass Zweiräder auch heute in Europa erzeugt werden können, beweisen die beiden boomenden KTM-Firmen in Oberösterreich.

Zwischen 1970 und 1974 wurde auf Wunsch der Stadt Wien ein - damals bahnbrechender - kleiner erdgasbetriebener Stadtbus entwickelt, von dem europaweit 1.000 Stück verkauft wurden.

In der Lkw- und Traktorenfertigung gab es ein ausgeprägtes Know-how und eine hohe Fertigungstiefe. Im Nachfolgewerk MAN Steyr wurde im Jahr 2020 gerade einmal eine Kleinserie von 50 (!) elektrisch betriebenen 26-Tonnen-Lkw produziert. Die Tatsache, dass der gesamte städtische Gewerbeverkehr schon seit Jahren elektrifiziert sein könnte, zeigt, welches Potenzial für die Produktion leichter Lkw und Lieferfahrzeuge in Steyr schlummert.

Das sieht auch Investor Wolf so, der nun mit seiner Russland-Connection den Standort in Steyr übernehmen möchte - allerdings zu seinen Konditionen: Er will sowohl die Belegschaft als auch deren Gehälter drastisch reduzieren. Wolf gehört übrigens auch zu den Unterzeichnern des eingangs erwähnten Briefes an den Kanzler.

Europas Kfz-Industrie hat absehbare Entwicklungen nicht verschlafen, sondern bewusst ignoriert: Man setzte auf Profitmaximierung - dies erklärt etwa den grassierenden SUV-Boom - statt auf zukunftsträchtige Mobilitätsformen (Elektrifizierung, Sharing, Umstieg auf Zweiräder, Komponentenfertigung für öffentliche Verkehrsmittel usw.). Nun stehen die Dinos vor den Trümmern ihrer kurzsichtigen Strategie und rufen - diesmal per Brief - wieder einmal die Politik zur Hilfe.