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Europas Post-Covid

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Das Impfdebakel der EU schwächt auch ihre Fähigkeiten, globale Interessen durchzusetzen.


Die Art und Weise, wie die EU, aber auch die meisten ihrer Mitgliedstaaten bei der Beschaffung der Corona-Impfstoffe gepfuscht haben, verärgert nicht nur viele Bürger; sie dürfte auch der EU selbst Schaden zugefügt haben, der langfristige Folgen haben wird, weit über die Dauer der Pandemie hinaus. Denn was als "Europäischer Moment" (Zitat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen) geplant war - die Begründung einer Art von Europäischer Impfunion -, ist nicht nur ein Monument des Scheiterns geworden. Es wird vor allem die Lust der Bürger, der EU in anderen Zusammenhängen Souveränität zu übertragen, nicht gerade steigern. Wer in einer derart existenziellen Frage so massiv gescheitert ist, dem wird man eher nicht zutrauen, andere Probleme besser zu lösen.

Ein Werbespot für die "immer engere Union", wie es in den römischen Gründungsverträgen der EU heißt, war der Impfmurks jedenfalls nicht; und das wird nicht folgenlos bleiben. Etwa für die Fähigkeit der EU, ihre globalen Interessen durchzusetzen, seien sie wirtschaftlicher, sicherheitspolitischer oder klimapolitischer Natur. Das gilt etwa gegenüber Russland, vor allem aber beim ungleich wichtigeren China. Denn die EU wurde, nicht zuletzt aus verschiedenen selbst verschuldeten Gründen, vor allem wirtschaftlich ungleich härter getroffen als ihre globalen Konkurrenten (Wachstum in der EU 2020: minus 7,4 Prozent, China: plus 2,3 Prozent), hat darob enorme Schuldengebirge aufgebaut und wird in der Folge weiter unter schwächerem Wachstum, hoher Arbeitslosigkeit und ganz allgemein geringerer Dynamik leiden. Eine gute Basis, um seine Interessen robust durchzusetzen, sieht anders aus.

Fast noch problematischer ist freilich der Reputationsschaden für das europäische Lebensmodell eng miteinander kooperierender Sozialstaaten. Dessen partielle Unfähigkeit, die eigene Bevölkerung durch ausreichend schnelles Impfen zu schützen, lässt dieses Modell plötzlich als ineffizient, entscheidungsschwach und eher unfähig dastehen, während das autoritäre China als überlegen im Kampf der Systeme erscheint, jedenfalls in dieser wichtigen Frage. Nicht auszuschließen ist, dass nicht wenige Europäer zuletzt etwas nachdenklich geworden sind, was den Charme autoritärer Systeme betrifft. Genau das wiederum ist im Interesse Chinas, das seit Jahren versucht, auf der ganzen Welt zwar nicht die Vorteile des Kommunismus, aber die Meriten autoritärerer Herrschaftsformen zu propagieren, eher diskret, aber durchaus effizient.

Corona kam da wohl wie gerufen. Umso mehr, als China ja auch durch seine Lieferung großer Mengen günstiger Impfstoffe Sympathie und damit auch Einfluss gewinnen konnte, vor allem bei weniger wohlhabenden Staaten. Es verfolgt konsequent den Plan, global an Einfluss und Macht zu gewinnen - nicht für imperialistische Landnahme, wohl aber, um dem Rest der Welt Spielregeln und politisches Handeln zu diktieren. Es geht nicht um Eroberung, aber um Dominanz und Unterwerfung. Europas Versagen in der Corona-Krise bringt das kommunistische China seinem Ziel wieder etwas näher - und schwächt Europas Kraft, sich dagegen zu wehren.