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Der Wert der Kirche für die Gesellschaft

Von Oliver Cyrus

Gastkommentare

Ihr angebliche Steuervorteile streichen zu wollen, ist ungünstig. Ein Blick über den Tellerrand des Buchhalters.


"Für Gott, Vaterland und Coca-Cola" hieß einst ein viel beachteter Titel über den Aufstieg eines Weltkonzerns. Doch weder ist ein Staat ein Konzern, noch ist eine Gesellschaft eine Konsumgenossenschaft. Was eine Gesellschaft zusammenhält, liegt nicht ausschließlich im Aufgabenbereich des Staates, selbst wenn es Überschneidungen geben sollte. Gerade wenn man einen schlanken Staat propagiert, sollten einem die von den Kirchen erbrachten Sozialleistungen bewusst sein.

Eine kleine Kostprobe? Bei der Caritas arbeiten an die 10.255 Hauptberufliche und mehr als 28.000 Ehrenamtliche, es gibt 32 Krankenhäuser katholischer Orden, in denen bis zu 450.000 stationäre und mehr als 800.000 ambulante Patienten pro Jahr versorgt werden. Weiters gibt es 5.600 Pflegeplätze in katholischen Heimen, wobei die Caritas der größte private Anbieter von Altersheimen ist. Zusätzlich werden hunderttausende Beratungsstunden pro Jahr unter großem Einsatz erbracht. All das ist nur ein kleiner Ausschnitt. Dazu kommen noch die umfassenden Leistungen der diversen evangelischen Kirchen. Will der Staat das alles übernehmen? Wohl kaum.

Der gesamtgesellschaftliche Wert der Kirchen ist pekuniär schwer messbar - ein Aspekt, der in den öffentlichen Milchmädchenrechnungen oft untergeht. Die Tücke solcher simplen Betrachtungen liegt in der Komplexität der Bewertung von Sozialkapital. In unberufenen Händen kann es schon einmal zu massiven Unterbewertungen kommen. Als vor zwei Jahren Notre Dame in Paris beinahe abbrannte, gab es einen atmosphärischen Vorgeschmack, wie eine Gesellschaft ohne Kirchen aussehen könnte: Abendland abgebrannt.

Scharfe Kritik - ein Luxus

Für einen Augenblick nahm man die Kirche nicht mehr als die Summe ihrer Verfehlungen wahr, sondern in ihrer Ganzheit. Ihre integrative Kraft, ihr ideeller Kulturschatz, den die Alte Welt mit der Aufklärung verbindet. Eine weltweit einmalige Konstellation, von der viele Gesellschaften bis heute unverdient profitieren. Letzteres, weil die teuer erkauften Rechte unserer modernen Welt selten in der gleichen Heftigkeit neu erstritten werden müssen - zum Glück.

Die scharfe Kritik an den Kirchen ist oft berechtigt und doch ein Luxus. In vielen Teilen der Welt ist diese Freiheit undenkbar, geradezu fatal. Und nicht zuletzt bot die Kirche seit ihren Anfängen den in Not Geratenen ein Refugium. Ein Gegengewicht zur staatlichen Macht als Schutzherrin all jener, die durch das Ränkespiel der Mächtigen unter die Räder geraten waren. Beispiele gäbe es genug. So setzte sich etwa der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn für jene Christen, Juden und Mitglieder von Kleinstreligionen ein, die aufgrund der abstrusen Einreiseregeln des damaligen US-Präsidenten Donald Trump in Wien gestrandet waren.

Lord Acton, ein brillanter Essayist und Historiker, brachte es auf den Punkt: "Der sicherste Test, mit dem wir beurteilen, ob ein Land wirklich frei ist, ist der Grad der Sicherheit, den Minderheiten genießen." Ein selten positiver Test auch in Europa. Die Bandbreite reicht von jüdischen Mitbürgern, die bestimmte Viertel aus Angst meiden müssen, bis hin zur rassistisch motivierten Kriminalisierung von Migranten.

Für den britischen Ex-Außenminister Jeremy Hunt lag Christenverfolgung "nahe am Völkermord". Ungewöhnlich klare Worte von hoher Ethik, die in der Realpolitik meist kein Thema ist. Anstand ist keine politische Kategorie, Moral bestenfalls ein Gerücht. Den meisten Politikern ist das Thema Christentum peinlich - außer es stehen Wahlen vor der Tür. Dabei hilft ein Blick in die weite Welt. Gelegentlich zumindest. Dann schätzt man wieder seine Kirchen und ist heilfroh.