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Ein Tod für die Schlagzeilen

Von Barbara Oberrauter-Zabransky

Gastkommentare

Persönliche Gedanken zum Brandanschlag auf die Wiener Trafikantin Nadine W.


Tageszeitungen. Lottoscheine. Briefkuverts. Zigaretten: In einer bizarren Volte des Schicksals wurde meine Cousine vor einigen Wochen in ihrem Ladenlokal, einer Trafik, zusammen mit leicht brennbarem Material in Brand gesteckt. Weder die Lottoscheine haben überlebt noch meine Cousine. Ich schreibe Cousine, weil Nadine W. genau das war: meine Cousine. Für viele von Ihnen war sie aber jemand anderer: eine Schwester. Eine Tochter. Eine Freundin. Eine (bis dato) Unbekannte. Oder das freundliche Gesicht in der Trafik am Wiener Alsergrund, an der Kreuzung Währinger Straße/Nussdorfer Straße, gleich neben dem Hofer.

Der war es übrigens, der ihr - zumindest vorläufig - das Leben gerettet hat: Hätten nicht mutige Unbekannte die Ladentür mit einem Hofer-Einkaufswagen eingeschlagen und ihr damit einen Fluchtweg ermöglicht, meine Cousine wäre bei lebendigem Leib verbrannt. So aber schaffte sie es bis auf die Straße und - durch einen weiteren glücklichen Zufall - bis ins Rettungsauto der Samariter hinein. Noch halb von Sinnen befragt von Polizisten, galten ihre letzten Worte dem Ex-Freund: jenem Mann, der ihr das alles angetan hat.

Nichts liegt mir ferner, als meine Cousine als Opfer zu betrachten. Bis zuletzt hat sie um ihr Leben gekämpft: Ein Leben, das sie sich ohne fremde Hilfe ganz allein aufgebaut hatte. Ein Leben, in dem sie erfolgreiche Geschäftsfrau und Unternehmerin war. Ein Leben, in dem sie wie alle jungen Frauen Freunde hatte, eine Familie, Hobbys, einen Hund - bis einer kam, ihr das alles wegzunehmen.

Wochen sind vergangen. Wochen, in denen Ärzte stundenlange Operationen durchführten. In denen die Familie innig auf gute Nachrichten hoffte. Darauf, dass Nadine W. endlich über den Berg ist. Diese Nachricht, sie kam nie. Was stattdessen kam: Zeitungsberichte. Genüsslich und in aller epischen Breite wurde über den Täter berichtet, seine mutmaßlichen Beweggründe und - in einer besonders perfiden Attacke auf das Privatleben meiner Cousine - ihre letzten Minuten, in denen sie in der Enge ihres Arbeitsplatzes um ihr Leben kämpfte.

Nun bin ich selbst Journalistin und kann mir an einer Hand ausrechnen, was Boulevardblätter mit diesen Geschichten bezwecken: Emotionen. Auflage. Umsatz, letztlich. Man liest es täglich, blättert um und denkt sich nichts dabei. Und doch trifft es einen härter, wenn Verwandte weinend zusammenbrechen, die Zeitung noch in der Hand. Wenn die engste Familie alle Hände voll damit zu tun hat, Anfragen von Lieferanten, Verpächtern und Versicherungen zu beantworten, anstatt sich um Nadine kümmern oder zumindest in Ruhe trauern zu können. Wenn Lieferanten Zeitungspakete vor der völlig ausgebrannten Trafik abstellen und mit dem Vermerk "Zugestellt" Rechnungen verschickt werden.

Toxisches männliches Selbstverständnis

Das soll keine Anklage sein. Sondern ein Blick hinter die Kulissen der Berichterstattung: auf der einen Seite ein grausamer Täter, gesund und wohlbehalten in Untersuchungshaft. Auf der anderen Seite eine Familie, die plötzlich vor dem Scherbenhaufen steht, der einmal das Leben ihrer Schwester, Tochter, Cousine, Nichte war. Und das Schlimmste: Wir sind damit nicht alleine. Seit meine Cousine Anfang März in Wien von einem Wahnsinnigen angezündet und tödlich verletzt worden ist, wurden in Österreich weitere Fälle bekannt, in denen Frauen von ihren (Ex-)Partnern umgebracht wurden: "Mann soll in Salzburg Mutter der gemeinsamen Kinder erstochen haben" - "Wiener soll Freundin wenige Stunden nach Polizeieinsatz erstochen haben" - "Mord in NÖ: Frau und Tochter erschossen, Ex-Partner hat sich gestellt", so lauteten die Schlagzeilen.

Im vergangenen Jahr sind 31 Frauen durch die Hand ihrer (Ex-)Partner ums Leben gekommen, mit Anfang April gab es in Österreich heuer bereits sieben Frauenmorde. "Warum Österreich das Land der Frauenmörder ist", titelte die Frauenzeitschrift "Wienerin". "Österreichs traurige Serie als Europas Spitzenreiter bei Frauenmorden von 2018 und 2019 scheint sich 2021 fortzusetzen", schrieb Martina Madner in der "Wiener Zeitung".

Vorschläge, was zu tun wäre, gibt es zuhauf: Sie zielen ab auf Bewusstseinsbildung, Unterstützung und einer Änderung des Selbstverständnisses von Männern, die Wut, Hass und Gewalt als einzige mögliche Gefühlsregung zulassen können. Es braucht niederschwellige Angebote, die Frauen ohne Scham in Anspruch nehmen können, um sofortigen Schutz zu erhalten. Frauenhäuser: Unbedingt. Meine Cousine wäre jedoch selbst im schlimmsten Fall nie in ein Frauenhaus gegangen. Zu groß die Scham, sich ein Scheitern eingestehen zu müssen. Und doch müssen auch - und gerade! - Frauen geschützt werden, die nach außen hin stark und selbständig auftreten. Sie sind es, die sich besonders oft am toxischen männlichen Selbstverständnis reiben und Funken entzünden. Funken, die oft genug Flammen schlagen. Flammen wie jene, die meine Cousine letztlich das Leben gekostet haben.

P.S.: Unvergessen bleiben die Anteilnahme und das Mitgefühl vieler hunderter Menschen, die sich an unserem Spendenaufruf beteiligt haben und unter https://padlet.com/oberrauter/goodbyenadine ihre Gefühle manifestiert haben. Ihnen gilt der Dank der gesamten Familie - auch und besonders im Namen von Nadine. Die Familie möchte sich außerdem ausdrücklich bei den Ersthelfern bedanken - sie waren es, die meiner Cousine zumindest vorläufig das Leben gerettet haben.