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Ein Plädoyer für Beihilfe zum Suizid

Von Michael Lysander Fremuth

Gastkommentare
Michael Lysander Fremuth ist Universitätsprofessor für Grund- und Menschenrechte an der Universität Wien und wissenschaftlicher Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Grund- und Menschenrechte in Wien.
© privat

Des Menschen (freier) Wille ist sein Himmelreich!


Durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zum "Recht auf selbstbestimmtes Sterben in Würde" erfährt diese Weisheit des Volksmundes verfassungsrechtliche Nobilitierung. Dass er das ausnahmslose strafrechtliche Verbot der Suizidassistenz (Paragraf 78, 2. Fall StGB) für verfassungswidrig erklärt hat, stellt eine begrüßenswerte Anerkennung der individuellen Selbstbestimmung und Freiheit dar - keineswegs aber einen Angriff auf den Lebensschutz. Eine Person, die einen freiverantwortlichen, festen und dauerhaften Wunsch zum Sterben in selbstdefinierter Würde gebildet hat, darf nicht gehindert werden, sich zur Umsetzung auch der (mitunter notwendigen) Unterstützung hilfsbereiter Dritter zu bedienen. Es gilt selbstverständlich: Niemand darf zum Suizid angestiftet oder genötigt werden, niemand ist zur Unterstützung einer Selbsttötung verpflichtet.

Freilich ist die kritisch geäußerte Sorge vor familiären, sozialen oder ökonomischen Pressionen, vor Missbrauch sowie vor mangelndem Schutz von Menschen in vulnerablen Situationen berechtigt. Dies erkennt der VfGH und verlangt vom Gesetzgeber nicht nur den Zugang zu ausreichender palliativmedizinischer Versorgung, sondern auch ein Konzept zum Schutz der autonomen Willensbildung. Dies impliziert zugleich eine Absage des Gerichtshofs an die in ihrer Absolutheit unbegründete Auffassung, wonach jeder Sterbewunsch pathologische Ursachen haben müsse oder ein verzweifelter Hilferuf sei. Die Existenz solcher Fälle, in denen gerade keine autonome Entscheidung vorliegt, rechtfertigt es nicht, einem Menschen, der freiverantwortlich entschieden hat, die Realisierung seines Sterbewunsches zu versagen.

Ebenfalls widersetzt sich der VfGH einem illiberalen, paternalistischen und kollektivistischen Verständnis des Lebensschutzes: Der Staat muss das Leben respektieren und auch vor Gefahren schützen - dies allerdings nicht gegen den autonomen Willen seines Trägers, würde doch andernfalls das Recht auf Leben in eine Pflicht zum Leben pervertiert. Im säkularen und liberalen Staat schuldet das Individuum sein Leben weder Gott noch dem Staat oder der Familie. Ein allenfalls vordergründiger Konflikt zwischen dem Lebensschutz und der Selbstbestimmung infolge der Anerkennung einer individuellen Dispositionsbefugnis besteht folglich nicht. Davon ausgehend, verfängt auch das "Dammbruchargument" nicht: Zwar ist die Anzahl assistierter Suizide in Staaten, die dies erlaubt haben, vielfach gestiegen. Sofern dies allerdings einen verstärkten Freiheitsgebrauch der Betroffenen reflektiert (und eben dies haben die Staaten durch entsprechende Schutzkonzepte sicherzustellen), ist dagegen nichts zu erinnern.

Das Erkenntnis des VfGHstellt ein Fanal der Freiheit dar

Das Erkenntnis wird weitere Debatten auslösen, insbesondere in Ansehung der aktiven Sterbehilfe, die jüngst in Spanien und Portugal erlaubt wurde, in Frankreich diskutiert und laut demoskopischen Erhebungen auch von einer wachsenden Anzahl der Österreicher befürwortet wird. Der VfGH hat obiter dictum ausgeführt, dass seine Erwägungen nicht ohne Weiteres auf die Tötung auf Verlangen (Paragraf 77 StGB) übertragbar seien, da sich die aktive Sterbehilfe in wesentlichen Belangen von der Suizidassistenz unterscheide. Maßgeblich dürfte sein, dass hier eine dritte Person die Herrschaft über das Geschehen innehat. Zugleich kann es jedoch Fälle geben, in denen eine Person zur Selbsttötung nicht imstande ist, sodass ihr ein Sterben in selbstbestimmter Würde verwehrt bleibt.

Es obliegt dem Gesetzgeber, zwischen dem legitimen gesellschaftlichen Interesse, die Tötung eines anderen Menschen zu verbieten (was partiell bereits in Ansehung der erlaubten indirekten Sterbehilfe durchbrochen wird), und dem Selbstbestimmungsrecht in Fällen gänzlicher Impotenz zur Durchführung einer auch assistierten Selbsttötung abzuwägen. Zunächst ist dieser jedoch berufen, bis Ende 2021 eine Regelung der Suizidassistenz zu treffen. Deren Grund und Grenze ist die Sicherung der Autonomie, was zugleich die Bekämpfung von Zwang und Missbrauch sowie die Schaffung alternativer Beratungs- und Therapieangebote verlangt. Zum Weiterleben zwingen darf er den Menschen nicht. Insoweit stellt das Erkenntnis des VfGH ein Fanal der Freiheit dar - möge es lang und hell leuchten.

Human Rights Talk:
"In Würde sterben? Suizidhilfe zwischen Lebensschutz und Autonomie"
Am 22. April ab 18 Uhr diskutieren Expertinnen und Experten mit dem Publikum - Teilnahme unter: https://gmr.lbg.ac.at/de/hrt-suizidhilfe