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Sterben an der Hand, nicht durch die Hand eines Anderen

Von Franz-Joseph Huainigg

Gastkommentare
Franz-Joseph Huainigg ist Vorstandsmitglied der Aktion Leben.
© privat

Bei der Sterbehilfe nicht die Büchse der Pandora öffnen.


Das VfGH-Erkenntnis ist sehr differenziert. Man sieht das Ringen der Richter, die Tür doch nicht zu weit aufzumachen. Das ist grundsätzlich gut. Jedoch wurden die Situation und die Erkenntnis aus anderen Ländern, wo die Beihilfe zum Suizid bereits eingeführt worden ist, nicht berücksichtigt. Wird die Türe auch nur einen Spalt geöffnet, ist die Büchse der Pandora offen und "a slippery slope" beginnt. In Ländern, die Beihilfe zum Suizid legalisiert haben, zeigt sich, dass die Einschränkungen Schritt für Schritt erweitert werden, von der terminalen Lebensphase bis hin zur Beihilfe zum Suizid Minderjähriger oder Demenzkranker. Seit 1998 verzeichnet die Schweiz einen stetigen Anstieg assistierter Suizide von Personen mit Wohnsitz in der Schweiz. Die Zahlen haben sich zwischen 2009 und 2014 mehr als verdoppelt, bei in etwa gleichbleibender Zahl "normaler" Suizide. In jenen Ländern zeigt sich auch, dass die Legalisierung der Beihilfe zum Suizid auch die Grundstimmung in der Bevölkerung verändert und die Selbstbestimmung in dieser Frage immer mehr ausgehöhlt wird.

Der Wunsch zu sterben hängt meist mit Perspektivlosigkeit, Schmerzen und Einsamkeit zusammen und ist daher als Hilferuf für eine Verbesserung der Lebenssituation zu sehen. Wie kann diesem Hilferuf und der scheinbaren Aussichtslosigkeit begegnet werden? Palliativmedizin und Hospizversorgung müssen rasch ausgebaut werden, um ein Lebensende bis zuletzt ohne Schmerzen zu ermöglichen und ein Sterben nicht durch die Hand eines Anderen, sondern an der Hand zu gewährleisten. Wie sich die Lebensperspektiven durch andere Rahmenbedingungen ändern können, zeigt sich am Beispiel von Janusz Switaj. Er kämpfte in Polen jahrelang für Euthanasie und die Abschaltung seines Beatmungsgerätes, da er nur im Bett liegen konnte und keine Perspektiven mehr hatte. Eine Stiftung nahm sich seiner an. Er bekam ein mobiles Beatmungsgerät, einen Elektrorollstuhl, persönliche Assistenz und einen Job. Heute kämpft er nicht mehr für Euthanasie, sondern berät Menschen in schwierigen Lebenssituationen, wie sie ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben wird für manche schnell die vermeintliche Pflicht, anderen nicht zur Last zu fallen. Wer wie ich pflegebedürftig und immer auf Unterstützung und Hilfe anderer angewiesen ist, braucht ein hohes Selbstwertgefühl, um die nötigen Assistenzleistungen und Unterstützungen anzunehmen. Durch die Möglichkeit des Suizids entsteht natürlich ein Druck auf Menschen mit Behinderungen. Überall zeigt sich: Die als Ausnahme gedachte Beihilfe zum Suizid mit der Begründung des Rechts auf Selbstbestimmung hat dazu geführt, dass sich insbesondere behinderte Menschen dafür rechtfertigen müssen, dass sie weiterleben wollen, obwohl sie anderen "so sehr zur Last fallen". Letzteres wird in anderen Ländern auch als Hauptgrund der meisten Beihilfen zum Suizid angeführt.

Eine völlig autonome Entscheidung kann es in Wirklichkeit nicht geben

Der VfGH schließt sich dem allgemeinen Mainstream der Autonomie und Selbstbestimmung als höchste Werte an. Das Recht auf Leben wird hingegen in den Hintergrund gerückt. Eine völlig autonome Entscheidung, ohne Einfluss eines Dritten, wie es der VfGH fordert, kann es aber in Wirklichkeit nicht geben. Die Möglichkeit, sein Lebensende selbstbestimmt zu entscheiden, gab es schon bisher durch Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Diese Möglichkeiten müssen ausgebaut und weiterentwickelt werden. Jetzt ist die Politik gefordert, Rahmenbedingungen für die Verfassungsänderung zu finden.

Mir erscheint wichtig, dass die Beihilfe zum Suizid keinesfalls Ärzte durchführen dürfen - das wäre eine fatale Vermischung der Rolle und Aufgabe des Arztes zur Lebenserhaltung und zur Achtung des hippokratischen Eides. Auch darf keinesfalls geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid erlaubt werden, wie das in der Schweiz der Fall ist. Es ist tragisch genug, wenn jemand mit Suizidgedanken keine Hilfe zum Leben findet. Geradezu zynisch ist es aber, wenn andere daran verdienen. Vor einer Beihilfe zum Suizid braucht es eine umfassende Klärung durch Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen. Die Durchführung sollte aber ausschließlich durch eine Behörde erfolgen.

Human Rights Talk:
"In Würde sterben? Suizidhilfe zwischen Lebensschutz und Autonomie"
Am 22. April ab 18 Uhr diskutieren Expertinnen und Experten mit dem Publikum - Teilnahme unter: https://gmr.lbg.ac.at/de/hrt-suizidhilfe