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Heimatland Erde

Von Werner Wintersteiner

Gastkommentare
Werner Wintersteiner ist Friedenspädagoge und emeritierter Professor an der Alpen Adria Universität Klagenfurt. Soeben ist sein neues Buch bei Transcript erschienen: "Die Welt neu denken lernen - Plädoyer für eine planetare Politik. Lehren aus Corona und anderen existentiellen Krisen".
© privat

Ob Corona oder Klimawandel - wir stehen vor globalen Problemen, die wir nur durch globale Solidarität lösen können.


Die österreichische Wirtschaft sucht verzweifelt Lehrlinge. Es gibt zu wenige. Es gäbe zwar mehr Ausbildungswillige, aber das sind Asylwerberinnen und Asylwerber, und die dürfen keine Lehre antreten. Es werden sogar gut integrierte Lehrlinge aus ihrem Umfeld herausgerissen und in eine ungewisse Zukunft abgeschoben, während sich die türkise Partei beharrlich weigert, Geflüchtete ins Land zu holen, die in Griechenland in Elendsquartieren vegetieren.

Die Europäische Union hat in der Corona-Krise immer wieder ihre Einigkeit beschworen, aber wenn es ernst wurde, war diese wie weggeblasen. Der Wirbel, den der österreichische Kanzler mit seiner Forderung nach mehr Impfdosen erzeugt hat, lässt unser Land schlecht dastehen. Doch genauer betrachtet, ist es auch mit der Solidarität der anderen Länder nicht weit her.

Ein weiterer Aufreger der vergangenen Wochen: Wer kann, wer darf, wer soll Amanda Gormans Gedicht "The Hill We Climb" übersetzen? Schnell wurde aus der Kritik daran, dass immer wieder dieselben alteingesessenen Übersetzerinnen und Übersetzer zum Zug kommen, ein Aufschrei gegen kolonialistisches Gehabe und die Behauptung, dass nur diejenigen sich in den Text einfühlen könnten, die in einer ähnlichen Situation wie die Autorin seien.

Interessen bestimmter Gruppen über denen des Gemeinwohls

Was diese drei Beispiele, bei aller Verschiedenheit, gemeinsam haben? Jedes Mal werden die Interessen bestimmter Gruppen über die des Gemeinwohls gestellt. Im Fall der Lehrlinge beziehungsweise der Geflüchteten insgesamt ist es der klassische rassistische Nationalismus der Rechten, den die dominierende Regierungspartei aus ideologischen Gründen oder aus dem Kalkül, Wählerinnen und Wähler an sich zu binden, vertritt und damit noch verstärkt.

Im Fall der EU sind es nationale Egoismen, aber wohl auch eine Art "Internationalismus" der liberalen Eliten, die darunter den beinharten globalen Wettkampf um Märkte, Macht und Einfluss verstehen. Das Schicksal der sogenannten Globalisierungsverlierer im In- und Ausland interessiert niemanden.

Im Fall von Gormans Gedicht gibt sich der Egoismus links und postkolonial. Man will bloß gegen die Herrschaft der weißen, alten Männer vorgehen und untergräbt doch mit der Behauptung, nur Schwarze könnten sich in Schwarze einfühlen, nur Gleiche in Gleiche, die Basis für jedes gesellschaftliche Bündnis.

All diesen drei Grundhaltungen, die heute vorherrschen, ist der Verzicht auf eine planetare Perspektive gemeinsam. Dabei zeigt uns doch Corona ebenso wie der Klimawandel, dass wir vor globalen Problemen stehen und diese nur durch globale Solidarität lösen können. Grundiert wird diese Haltung noch durch eine Lebensweise, die auf der rücksichtslosen Ausbeutung der Natur beruht - und die uns bereits Artensterben und Zunahme von Naturkatastrophen als Folge der Erderwärmung beschert. Nur langsam macht sich die Einsicht breit, dass wir unsere Art zu leben und zu wirtschaften radikal umstellen müssen.

Kosmopolitisches Denken: gern beschworen, selten praktiziert

Es fehlt eben an einem Bewusstsein für unser Heimatland Erde, wie es der französische Denker Edgar Morin ausgedrückt hat. Heimatland Erde - das bedeutet Einheit und Vielfalt zugleich, die Erkenntnis, dass der notwendige politische Streit sich auf eine globale Perspektive beziehen muss. Und nur durch die Betonung des gemeinsamen Menschseins kann jeder Form von Diskriminierung der Boden entzogen werden - seien es Rassismus, Genderdiskriminierung oder soziale Benachteiligung.

Doch offenbar ist das Denken in der Form des "methodologischen Nationalismus" (wie es der deutsche Soziologe Ulrich Beck nannte), der kurzsichtigen Verteidigung der eigenen Privilegien oder eines doktrinären Kommunitarismus sehr tief verwurzelt. Kosmopolitisches Denken wird gern beschworen, aber selten praktiziert. Die Einsicht, dass wir heute, ob wir es wollen oder nicht, eine planetare Schicksalsgemeinschaft bilden, ist noch kaum verbreitet. Es geht daher nicht nur darum, für eine andere Politik einzutreten. Eine andere Politik wird nur dann mehrheitsfähig werden, wenn ein tiefgehender Bewusstseinswandel erfolgt.

Um dafür einen Anstoß zu geben, hat das österreichische Friedensforschungsinstitut in Stadtschlaining die Kampagne "Heimatland Erde" gestartet. Organisationen auf mehreren Erdteilen konnten als Partner gewonnen werden. "Wir sind in der Lage, statt unsere Lebensgrundlagen zu zerstören, ein nachhaltiges, prosperierendes, sinnerfülltes Leben für alle Menschen auf unserem Planeten zu schaffen und die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, als die ‚im Konflikt geeinte‘ Menschheit zu meistern", ist im Manifest "Heimatland Erde", das die gemeinsame Basis bildet (www.heimatlanderde.com), zu lesen. "Dann kann endlich aus der Hominisierung eine wirkliche Humanisierung werden."

Diese Lernprozesse sind elementar und müssen längerfristig zu einer gesellschaftlichen Metamorphose führen: zu einer Änderung unserer Einstellungen und Werte, zu einer Transformation der Strukturen und Machtverhältnisse, die unsere gegenwärtige Produktionsweise permanent reproduzieren. Oder wie es der französische Philosoph Edgar Morin formulierte: "Das Bewusstwerden der irdischen Schicksalsgemeinschaft muss zum Schlüsselereignis unseres Jahrhunderts werden. Wir sind auf und mit diesem Planeten solidarisch."