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Was geht, MAN?

Von Michael Soder und Christian Berger

Gastkommentare
Die Belegschaft in Steyr stimmte mehrheitlich gegen die Übernahme durch Investor Siegfried Wolf.
© MAN-Steyr

Wie Österreichs Politik den grünen Strukturwandel verschläft.


In der rund 40.000 EinwohnerInnen großen Stadt Steyr ist Feuer am Dach! Das MAN-Werk in Steyr, einer der größten Arbeitgeber der Region, steht vor dem Aus. Soll das Werk bleiben, müssen die Beschäftigten dafür bezahlen. Es drohten Kündigungen für fast die Hälfte der Belegschaft und erhebliche Einkommensverluste für den Rest. Die Beschäftigten haben sich gegen diesen Deal des Investors Sigfried Wolf entschieden, und Österreich diskutiert jetzt ausschließlich darüber, wer denn nun genau am Status quo schuld ist. Unser Blick sollte aber in die Zukunft gerichtet sein.

Die Situation der Beschäftigten und der gesamten Region ist lediglich ein Symptom. Tritt man einen Schritt zurück, wird deutlich, dass wir uns inmitten eines turbulenten, tiefgreifenden Strukturwandels befinden, der in seiner Brisanz gröberes Management- und Politikversagen offenlegt. Die Klimakrise verlangt nichts weniger als eine Kehrtwende bei unserer energetischen Basis und der Art, wie wir produzieren, konsumieren, reisen, arbeiten und leben. Neue Technologien und andere Innovationen treiben strukturelle Veränderungen voran.

Christian Berger ist Sozioökonom. Er arbeitet, forscht und lehrt in Wien (Schwerpunkte: politische Ökonomie, soziale Reproduktion, Strukturwandel).
© Mercan Sümbültepe

Die digitale Revolution hält Einzug in alle Lebensbereiche. Algorithmen, Daten und Roboter bestimmen immer stärker unsere Realitäten. All diese Veränderungsprozesse, die durch Digitalisierung und die Notwendigkeit der Dekarbonisierung angestoßen wurden, haben eines gemeinsam: Sie erfordern mutige Entscheidungen und echten Gestaltungswillen.

Deutschland ist stolz auf seine Automobilindustrie. Sie ist Teil des deutschen Selbstverständnisses und deutscher Identität. Und ausgerechnet sie steht mit ihrem fossilen Geschäftsmodell auf dem Prüfstand der Pariser Klimaziele. CO2-freie Mobilität und autonomes Fahren werden die Produktion und Nutzung von Autos radikal verändern - ein Lehrbuchbeispiel für strukturellen Wandel. Das bestätigt auch eine neue Studie des Frauenhofer Instituts: Bis 2030 muss die deutsche Automobilindustrie mit einem Beschäftigungsrückgang von 20 bis 40 Prozent rechnen.

Das Potenzial nutzen, sonst droht der Niedergang

Auf der anderen Seite entstehen neue Jobs, etwa in der Batteriezellenfertigung, bei E-Mobilitätskomponenten oder Mobilitätsdienstleistungen. Die Beschäftigung in diesen Bereichen könnte sogar wachsen. Wird dieses Potenzial nicht genutzt, droht neben dem Verlust an Wertschöpfung der Niedergang ganzer Regionen. Das Schicksal des "Rust Belt" in den USA ist das Ergebnis einer Politik, die soziale Implikationen von Strukturwandel ignoriert.

Speziell die Systemzulieferer sind mit massiven Veränderungen konfrontiert - in Deutschland wie in Österreich. Der Preisdruck der großen Automobilkonzerne treibt die Systemzulieferer in eine gefährliche Sackgasse, weil sie ihm mit hohen Stückzahlen und der Spezialisierung auf Nischen begegnen. Die Konsequenz: starke Abhängigkeit vom jeweiligen Spezialprodukt.

Deutschlands Antwort auf die Herausforderungen der Automobilindustrie fällt eindeutig aus: Batteriezellen, Leistungselektronik und E-Mobilitätskomponenten werden in Deutschland produziert, um Beschäftigung und Wertschöpfung zu erhalten. In den nächsten Jahren entstehen neun Werke für die Batteriezellenfertigung, und internationale Entwicklungs- und Produktionskooperationen werden aktiv vorangetrieben. In Österreich sieht es ganz anders aus. Weder ist eine große Batteriezellenfertigung geplant, noch gibt es Anzeichen für eine systematische Industriepolitik, die Österreichs Unternehmen und Beschäftigte auf die Zukunft vorbereitet. Anders gesagt: Während Deutschland alles Notwendige unternimmt, um den Wandel unter Einbindung einer breiten Öffentlichkeit aktiv zu gestalten sowie Beschäftigung und Wertschöpfung zu sichern, setzt man in Österreich auf Strategien ohne Maßnahmen und Maßnahmen ohne Strategien.

Michael Soder ist Ökonom und Sozioökonom. Er arbeitet, lehrt und forscht in Wien (Schwerpunkte: grüner Strukturwandel, Industriepolitik, Forschung, Technologie, Innovation).
© Daniel Schmelz

Österreich fehlen Strategien für den Strukturwandel

Die Ereignisse bei MAN stellen klar, dass es nicht die Arbeitnehmer sind, die die österreichische Autozulieferindustrie gefährden. Die kämpfen lediglich für das, was ihnen zusteht: eine faire Behandlung und eine Entlohnung, die ihrer Leistung und ihrem Know-how entspricht. Die wahre Gefahr ist die Weigerung der Politik, die Flanke beim industriellen Strukturwandel zu schließen. Es fehlt in Österreich nicht nur eine Just-Transition-Strategie, sondern auch eine Wasserstoff-, Digitalisierungs-, und Industriestrategie. Soziale oder arbeitsmarktpolitische Aspekte werden zu wenig berücksichtigt, und es gibt keinen fundierten Dialog, der Sozialpartner und andere Stakeholder einbindet.

Es wird nicht darüber nachgedacht, wie sich Österreichs Zulieferindustrie in den Wertschöpfungsketten der Zukunft positionieren könnte. Es werden weder die richtigen Fragen gestellt noch Antworten gesucht. Wo will Österreichs Industrie in den nächsten zehn Jahren stehen, in welche innovativen, nachhaltigen Wertschöpfungsketten möchte sie eingebunden sein, und wie kann der Weg dorthin aussehen? Der Wirtschaftsstandort Österreich zeichnet sich durch die hohe Qualifikation und Produktivität seiner Arbeitnehmer, seinen wertvollen Sozialstaat und eine effiziente soziale Infrastruktur aus. Doch um diesen Status beizubehalten, muss die Politik rasch handeln.

Der Strukturwandel kommt nicht erst auf uns zu, sondern er findet schon mitten unter uns statt. MAN Steyr wirft ein exemplarisches Schlaglicht auf eine fast ohnmächtig wirkende Politik. Genau an solchen Kristallisationspunkten der Veränderung offenbaren sich klaffende Lücken: etwa die fehlende Strategie für eine CO2-freie Produktion. Was wir jetzt brauchen, sind mehr Demokratie und Diskussion sowie eine aktive, zukunftsfähige Politik, die auch den Willen hat, den Strukturwandel sozial gerecht zu gestalten.