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Konsumpatriotismus mit Augenmaß

Von Gerhard Poschacher

Gastkommentare

Die Werbung mit hohen heimischen Qualitätsstandards sollte nicht dazu führen, ausländische Landwirtschaftsprodukte zu verunglimpfen.


Landwirtschaftliche Interessenvertretungen und politische Bauernorganisationen befeuern in der Pandemie den Konsumpatriotismus: Regional, vor allem Lebensmittel österreichischer Herkunft, wenn möglich Bioprodukte, sollen gekauft werden. Die Parole der Werbekampagne der Agrarmarkt Austria (AMA) lautet: "Auf all das schau ich ganz genau, wenn ich auf das AMA-Gütesiegel schau." Rund 20 Millionen Euro stehen jährlich für Werbe- und Marketingmaßnahmen zur Verfügung, überwiegend von der Milch- und Molkereiwirtschaft aufgebracht. Was regional ist, bleibt aber ungeklärt: Bezirke, Länder oder ganz Österreich in der EU?

Laut einer aktuellen AMA-Umfrage unter 2.000 Konsumenten zum Einkaufsverhalten bevorzugen fast 60 Prozent (2013: 47 Prozent) heimische Lebensmittel und achten mehr auf die Qualität als auf den Preis. Obwohl viele Bauern durch die Schließung der Gastronomie und Hotellerie erhebliche Einbußen erleiden, hat die Direktvermarktung um 24 Prozent zugelegt. Und in einer Umfrage im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Bäuerinnen und der Nachhaltigen Tierhaltung Österreich kann sich die Landwirtschaft über hohe Zustimmung und ein vorzügliches Image freuen: 94 Prozent der Befragten haben ein positives Bild von der Arbeit der bäuerlichen Familien, 92 Prozent sind überzeugt, dass die Land- und Forstwirtschaft ein wesentlicher Bestandteil der Lebensqualität ist. Ähnlich hohe Zustimmungswerte bekommt die Feststellung, dass Bauer ein Beruf mit Zukunft ist und Qualitätsprodukte auch von den vielen ausländischen Gästen geschätzt werden.

Exporte erfordern auch die Akzeptanz von Importen

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger freut sich deshalb darüber, dass 2020 die agrarische Handelsbilanz positiv ausfiel und wertmäßig ein Exporterlös von fast 13 Milliarden Euro erwirtschaftet und mehr aus- als eingeführt wurde. Die Lebensmittelwirtschaft und das einschlägige Gewerbe mit 27.000 Beschäftigten in rund 200 Betrieben bei 9 Milliarden Umsatz haben aber mit dem überzogenen Konsumpatriotismus und strengen Herkunftskennzeichnungen, von den Landwirtschaftskammern vehement gefordert, weniger Freude.

Schließlich geht es darum, die seit dem EU-Beitritt 1995 erfolgreich eroberten ausländischen Regale für Backwaren, Milch- und Fleischprodukte, Biolebensmittel, Wurstwaren, Wein und Zucker nicht zu verlieren. Die Werbung mit hohen heimischen Qualitätsstandards sollte aber nicht dazu führen, bäuerliche Produkte aus dem Ausland zu verunglimpfen. Der Europäische Binnenmarkt steht für Konsumpatriotismus mit Augenmaß. Exporte erfordern auch die Akzeptanz von Importen.

Der Respekt, den sich heimische Bauern für ihre Qualitätsstrategie, vor allem in der Milchwirtschaft, verdienen, steht auch den Berufskollegen in den EU-Ländern zu. Nicht jeder, der gelegentlich Bayrisches Weizenbier als Durstlöscher bevorzugt, hat Bedenken gegenüber Gerstenbräu aus Österreich. Nicht jeder, der sich fallweise Schinken aus Italien gönnt, ist gegen Tiroler Speck. Nicht jeder, der auch einmal Schweizer Emmentaler oder französischen Weichkäse genießt, ist ein Verräter am Produktangebot österreichischer Molkereien. Der Europäische Binnenmarkt sieht freien Warenverkehr vor und erweitert das Angebot für die Ernährungsvielfalt. Österreichs Land- und Ernährungswirtschaft hat die Chancen auf den internationalen Agrarmärkten vorzüglich genutzt und braucht sich auch weiterhin nicht vor Wettbewerb fürchten.

Ein "Feinkostladen" mit mehr als 100 Genussregionen

Franz Fischler begründete als Landwirtschaftsminister 1992 mit dem Slogan "Feinkostladen Österreich" den Konsumpatriotismus und wies die Getreide-, Milch-und Fleischbranche auf die Chancen im größeren europäischen Markt im Zuge der Vorbereitungen auf den EU-Beitritt Österreichs hin. Sein Nachfolger Wilhelm Molterer leitete die Auslobung von mittlerweile mehr als 100 Genussregionen für Spezialitäten (etwa Wachauer Marille, Äpfel aus der Steiermark, Waldviertler Karpfen, Molkereiprodukte aus den Bergregionen, Marchfelder Spargel) in die Wege. Die aktuelle Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger hat diese Initiativen in die Strategie "Kulinarik Österreich" mit der Parole "Aus der Region, für die Region, in die Welt" integriert und damit den Konsumpatriotismus für regionale Herkunft, Vielfalt, Saisonalität und Qualität gestärkt.

Bei allem Respekt vor bäuerlichen Leistungen in den EU-Ländern ist aber die Kritik an Rindfleisch- und Sojaimporten aus Südamerika sowie unfairen Handelspraktiken mit fragwürdigem Austausch zwischen Ernährungsgütern und Industrieprodukten aus umwelt- und klimapolitischen Gründen notwendig und richtig. So ist der tägliche Verlust tausender Hektar Regenwälder eine Katastrophe.