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Ein Türöffner zum Sprungbrett

Von Andreas Stadler und León de Castillo

Gastkommentare

Warum auch Jugendliche, vor allem junge Künstler und Kulturschaffende, jetzt mehr Einstiegshilfen brauchen.


Seit mehr als einem Jahr werden Jugendlichen, vor allem auch den kreativen Nachwuchskräften, Chancen abgeschnitten. Richtigerweise strenge Ausgangsbeschränkungen schränken auch die nächste Generation ein, die sich an den Herausforderungen der Gegenwart abmüht: geschlossene Schulen, Unis und Homeschooling, Lockdown für quasi alle kulturellen Orte der kommunikativen, physischen Interaktion, aus der erst Kreativität und Vertrauen entstehen kann.

Gleichzeitig ist die heutige Jugend mit den Exzessen des kapitalistischen Raubbaus, steigender Ungleichheit sowie einem dramatischen Klimawandel konfrontiert. Sie reagiert aber nicht so wie etwa in den 1980er Jahren die "No Future Bewegung" - im Gegenteil: Greta Thunberg hat eine ganze Generation zu "Fridays for Future" motiviert, die auch darüber hinaus gesellschaftspolitisch agitiert.

Die "Generation Klimapolitik" nimmt sich auch eine Welt mit mehr Chancengleichheit als Ziel. Hier haben unter anderem Sexismus und Rassismus keinen Platz. Die "Black Lives Matter"-Bewegung und die zahlreichen feministischen, sowie LGBTIQ+-Demos haben uns in den vergangenen zwei Jahren gezeigt, dass Jugendliche keine Social-Media- beziehungsweise Gaming-Opfer sind und sich zu Zigtausenden friedlich für Ideale einsetzen.

Entwicklungen in Deutschland und Österreich

In diesem Zusammenhang stimmen zwei jüngste parallele und dennoch auseinanderdriftende Entwicklungen in Deutschland und Österreich nachdenklich. Einerseits hebelt das deutsche Bundesverfassungsgericht Teile des deutschen Klimaschutzgesetz aus, weil es in Teilen nicht mit den Grundrechten vereinbar sei. Einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur nur langsam auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen, verletze die zum Teil sehr jungen Beschwerdeführenden in ihren Freiheitsrechten.

Nun muss die deutsche Bundesregierung nachbessern, und es steht ein Wahlkampf bevor, der die fossilen Parteien alt aussehen lässt. Mit Annalena Baerbock ist es wieder eine junge Frau, die offensichtlich einen Paradigmenwechsel einläutet. Dass die Grünen in Deutschland darüber hinaus auch für eine offene Gesellschaft, Demokratie, Integration und gegen Rassismus stehen, macht sie dort zu einer Partei der linken Mitte mit realistischen Chancen auf eine Regierungsbeteiligung, die auch in Europa den Zukunftsmotor für nachhaltige Chancen der nächsten Generationen beschleunigen kann.

In Österreich hingegen wird der 1. Mai 2021 wohl damit in Erinnerung bleiben, dass die Polizei - nach Monaten der überwiegend passiven Duldung von rabiaten und zum Teil rechtsradikalen Anti-Corona-Demonstrationen - brutal mit Pfeffersprays und unverhältnismäßiger Gewalt und Festnahmen eine offiziell angemeldete Demonstration der Hochschülerschaft der Akademie der bildenden Künste aufgelöst hat. Augenscheinlicher Grund: einige Demonstranten hissten auf der Werbefläche der Votivkirche ein Banner mit der No-na-net-Aufschrift: "Unis besetzen - Oid*e" - anscheinend ein staatsgefährdender Aufruf.

Dünnes Pflaster für tiefe Wunden der Gegenwart

Zur Erinnerung: Es waren vor allem linke Gruppierungen, die mit Mund-Nasenschutz auf die Einhaltung der Corona-Schutzmaßnahmen drängten. Eine große Demonstration zugunsten von "Black Lives Matter" im Juni 2020 verlief absolut friedlich und regelkonform, ebenso eine Reihe von "Zwei-Meter-Abstand-Demos" jugendlicher Kulturschaffender, die alle 14 Tage auf dem Heldenplatz mehr Unterstützung für diesen hart getroffenen Sektor einforderten und schlussendlich auch volle Unterstützung österreichischer Kulturstars und der Medien bekamen.

Nun, ein Jahr später, gibt es in Österreich Bemühungen der Bundesregierung um Klimapolitik und Abfederung des Kultursektors. Der Druck der Zivilgesellschaft scheint zu wirken. Vereinzelte Maßnahmen des Kulturministeriums federn direkt und indirekt Einkommensverluste von 15.000 Kulturschaffenden ab. Mit der "Aktion Sprungbrett" werden 300 Millionen Euro in die Mitfinanzierung teilweise auch bestehender Jobs zugunsten von 50.000 Langzeitarbeitslosen investiert. Das alles ist aber noch keine Investition in die Zukunft, sondern eher ein dünnes Pflaster für die tiefen Wunden der Gegenwart.

Unterstützung schuf Zwei-Klassen-Gesellschaft

Mit der Unterstützung für ausschließlich SVS-Versicherte im Kunst- und Kulturbereich schufen Kunst- und Kulturminister Werner Kogler und seine Staatssekretärin Andrea Mayer eine Zwei-Klassen-Gesellschaft innerhalb der Kunst- und Kulturszene. Damit rettet die Regierung nämlich vor allem den etablierten Teil der Szene über die bisherige Krise. Junge Künstler mit wohlhabenden Eltern werden die sozialen Hürden in den Krisenzeiten meistern, können sich ihre Unterhaltskosten ohne Nebenjobs leisten und arbeiten weiterhin fokussiert an ihrer Karriere. Was bleibt den anderen übrig? Viele Talente fallen aus dem System, nehmen Jobs bei Lebensmittelketten oder Essenslieferdiensten an oder lassen sich für den Pflegebereich umschulen. Andere bleiben beschäftigungslos und fallen ins Prekariat. Ein Student tritt in Hungerstreik.

Bruno Kreisky hat in seiner Regierungserklärung als Kanzler 1970 die Jugend mit seinem Aufruf mobilisiert, "mit allem revolutionären Eifer an der Verbesserung der Gesellschaft zu arbeiten". Umgelegt auf heute bedeutet dies, dass Klimaschutz, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Integration, Anti-Korruptions- und Anti-Rassismus-Maßnahmen an vorderster Stelle stehen sollten. Zigtausende Jugendliche, die jährlich die Schulen, Lehren und Unis nach dem Abschluss verlassen, würden sich gerne an der Gestaltung dieser Zukunft beteiligen. Ihre Kreativität liegt oft im Homeoffice brach, in den Parks wird sie abgestraft oder sogar zusammengeprügelt.

Talenteförderung als Zukunftsinvestition

Dabei würde gerade der soeben veröffentliche, 3,5 Milliarden Euro schwere österreichische "Aufbau- und Resilienzplan 2020 bis 2026" aus EU-Mitteln eine große Chance bieten, die heutige Jugend für ihre eigenen Ziele einzuspannen. Ein gutes Beispiel dafür aus der Geschichte ist die Erfolgstory der "Works Progress Administration" Ende der 1930er Jahre in den USA. Der damalige Präsident Franklin D. Roosevelt mobilisierte mit viel Steuergeld hunderttausende Arbeitslose, vor allem auch Jugendliche und hier auch wieder den kulturellen Sektor, um mit Wiederaufbaugeld neue Jobs zu finanzieren.

Gemeinden, sozial, ökologisch und kulturell engagierte Vereine und Initiativen, Jugendzentren, aber auch Unternehmen, könnten für ein Jahr, finanziert aus dem öffentlichen Haushalt, junge Kreative anstellen, soweit diese noch keinen Job hatten. Mit knappen 250 Millionen Euro könnten so 10.000 Einsteiger in die österreichische Arbeitswelt ein Jahr lang in gemeinnütziger Arbeit beschäftigt und gut bezahlt werden. Ihre Arbeitgeber könnten mit ihnen gemeinsam kreative und innovative Projekte entwickeln, die sich vielleicht nach einem Jahr selbst finanzieren oder sogar als Zukunftsinvestitionen fortentwickeln würden und damit dem öffentlichen Haushalt in Zukunft wieder zugute kämen. Denn die Jugend sollte nicht abgestraft, sondern für die Zukunft gewonnen werden.