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Grundrechte unter Temperatur-Vorbehalt?

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Der Klimakrise künftig mit ähnlichen Methoden zu begegnen wie heute der Corona-Pandemie, ist keine gute Idee.


Dem deutschen Ökonomen Karl-Friedrich Israel verdanken wir die Erkenntnis, dass "nichts so permanent ist wie ein temporärer Staatseingriff". In jeder Krise, sei es eine ökonomische Depression, ein Krieg, eine Naturkatastrophe oder eine Pandemie, besteht breiter Konsens darüber, dass nur der Staat das Problem lösen könne und daher mehr Geld, Kompetenzen und Vollmachten brauche - selbstverständlich nur ausnahmsweise und vor allem nur bis zum Ende der Krise.

In der Realität freilich behält der Staat nach dem Ende der Krise stets einen Teil dieser zusätzlichen Macht und der neuen Möglichkeiten, wodurch sein Einfluss, seine Kompetenzen und sein Anteil am ökonomischen Geschehen über die Jahrzehnte tendenziell zunehmen. Das gilt für die Wirtschaft, aber auch ganz allgemein für die Freiheitsräume und die Autonomie der Bürger. Auch jene Restriktionen und administrativen Kontrollen, die in einer Krise ihre Berechtigung haben mögen, werden danach wieder abgebaut - aber eben meist nur zum Teil und nie ganz.

Daher wird es nach dem Ende der Pandemie besonders wichtig sein, dem Staat ganz genau auf die Pfoten zu schauen, damit er nicht in gewohnter Manier die Krise dazu nutzt, noch mehr Macht und Geld zu arrogieren und aus vorübergehend notwendigen Beschränkungen von Grundrechten permanente Institutionen zu machen.

Besonders bedenklich erscheint diesbezüglich, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht jüngst erklärte: "Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein; gerade deshalb droht dann die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen." Die Höchstrichter hatten einer Klage junger Klimaschützer stattgegeben, die es für unzulässig hielten, dass die deutschen Klimaschutzgesetze derzeit nur bis 2030 reichen und nicht weit darüber hinaus.

Das Schlüsselwort lautet "gravierend". Doch was auf den ersten Blick wie ein ökologisch hochkorrekter Richterspruch erscheinen mag, hat es bei genauerer Betrachtung in sich. Denn unter "gravierenden Freiheitseinbußen", die da quasi voreilend für rechtens erklärt werden, um die Freiheiten noch lange nicht geborener Generationen zu bewahren, kann man vom Flugreiseverbot über die Untersagung der Fleischproduktion oder Ausgangssperren bis zu Enteignungen so ziemlich alles verstehen, was eine Diktatur von einem liberalen Rechtsstaat unterscheidet. Grundrechte stünden dann unter einer Art Klima-Vorbehalt.

Dann allerdings hätten all jene Corona-Leugner, Impfnarren und Aluhutträger recht behalten, die behaupten, die Corona-Krise sei der Auftakt zur Errichtung einer dauerhaften Gesundheitsdiktatur, in der dann eben das Klima an die Stelle des Virus trete. Das ist, jedenfalls aus heutiger Sicht, (noch) blanker Unsinn. Doch je mehr Grundrechte auf dem Altar der Klimarettung in Frage gestellt werden, umso heftiger müssen sich alle Anhänger des liberalen Rechtsstaates gegen jede weitere Anmaßung des Staates wehren, derzeit gebotene temporäre Eingriffe in Freiheitsrechte zu permanentem Recht zu machen.