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Rechte und Pflichten

Von Ilse Kleinschuster

Gastkommentare

Wirklich nachhaltiges Wirtschaften ist heute Utopie. Wie können wir Barrieren überwinden und zukunftsfähig handeln?


Der Schriftsteller und Jurist Ferdinand von Schirach hat - unter dem Titel "Jeder Mensch" - eine Ergänzung zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als Proklamation herausgebracht. Er meint: "Neue Zeiten erfordern neue, einklagbare Rechte." Daraufhin hat der Philosoph Konrad Paul Liessmann in seiner Glosse in der "Wiener Zeitung" die Frage aufgeworfen, ob denn Schirach nicht besser diese Proklamation für "neue Rechte zu einem zeitgemäßen Umgang des Menschen mit sich und der Natur" als einen "Pflichtenkatalog" hätte formulieren sollen.

Nun ja, der Kulturphilosoph Liessmann hat wohl mit seiner Glosse den Nagel auf den Kopf getroffen. Philosophisch-ethische Fragen passen nicht mehr in ein neoliberal geprägtes, kapitalistisches Denken, in dem Fragen zum Großen und Ganzen auf der Ebene von Systemrelevanz verhandelt werden müssen und Fragen zu Dimensionen des Menschseins an ihre Grenzen stoßen.

Schon vor 20 Jahren, als Hans Küng das "Weltethos" als seine Vision eines moralischen Wertekatalogs proklamiert hat, meinte er, eine friedliche Welt brauche gemeinsame Spielregeln. Diese können nicht eine einzelne Weltanschauung vorgeben, vielmehr müssten sie sich aus den Quellen aller Weltreligionen und humanistischen Traditionen speisen. Die Vision "Weltethos" wurde vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Atta Annan als mögliche Ergänzung zur UN-Charta der Menschenrechte freundlich aufgenommen.

Tja, wenn wir eine friedliche Welt wollen, braucht Politik Werte, oder? Andererseits aber: Brauchen Werte nicht auch Politik? Wo blieben all unsere Visionen ohne die entschlossene Kraft politischen Handelns und wertorientierter Gestaltung. "Kein Überleben des Globus ohne globale Ethik!" - so lautete der Tenor im Projekt der Ökosozialen Marktwirtschaft für einen "Global Marshall Plan" in den 1990er Jahren.

Was ist daraus geworden? In den vergangenen vier Jahrzehnten haben die marktgetriebene Globalisierung und die meritokratische Vorstellung vom Erfolg moralische Bindungen aufgelöst. Globale Lieferketten, Kapitalflüsse und die sie begünstigenden kosmopolitischen Identitäten haben dafür gesorgt, dass wir weniger voneinander abhängig sind, aber auch weniger offen für die Forderungen der Solidarität. Werte, die nachhaltiges Wirtschaften dringend brauchen würde.

Spielregeln für eine globale Wirtschafts- und Finanzwelt

Wirklich nachhaltiges Wirtschaften ist heute Utopie. In den besorgten Kreisen der Wissenschaft, der Wirtschaft, aber auch der Zivilgesellschaft fragen sich immer mehr Menschen: Wie können wir Barrieren überwinden und zukunftsfähig handeln? Was immer lauter auf den verschiedensten gesellschaftspolitischen Gestaltungsebenen gefordert wird, sind utopische Visionäre.

Politische Verantwortungsträger, aber auch Bürger (immer mehr als Konsumenten angesprochen), die sich ihrer Pflichten wirklich bewusst sind, haben es heute schwer - meiner Meinung nach primär aufgrund des Verlusts an ethischer Orientierung. Mahatma Gandhi hat das in seinen "Sieben Todsünden der heutigen Welt" treffend formuliert: Reichtum ohne Arbeit, Genuss ohne Gewissen, Wissen ohne Charakter, Geschäft ohne Moral, Wissenschaft ohne Menschlichkeit, Religion ohne Opfer und Politik ohne Prinzipien.

Was aber wirklich schwer ist, ist eine halbwegs in sich schlüssige ordnungspolitische Vorstellung, wie zukunftsfähige Spielregeln für eine global vernetzte Wirtschafts- und Finanzwelt aussehen sollen und wie man diese auch durchsetzen kann. Tja, ein "Pflichtenkatalog", das sagt sich so leicht. Schöpfungsverantwortung und soziale Solidarität einzufordern von einem "verwöhnten" bürgerlichen Mittelstand - auch auf globaler Ebene -, um das zum Teil himmelschreiende Unrecht gegenüber der Umwelt und gegenüber Milliarden von Menschen, die unter unwürdigsten Bedingungen vegetieren müssen, einzudämmen, ist wahrlich eine große Herausforderung.

Der UNO sei Dank, wir haben zwar jetzt die UN-Ziele für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) als moralische Richtschnur und die "Agenda 2030" als Navigator für Gemeinden. Maßnahmen zur Symptombekämpfung seitens der Wissenschaft, Wirtschaft und Politik werden erarbeitet - nicht immer ergriffen -, um die sozialökologische Krise einzudämmen. Was es er auch braucht, sind konkrete Prinzipien für nachhaltiges Handeln. Vielleicht unsere letzte Chance, durch persönlichen Einsatz und eine neu gestaltete Lebenspraxis dem Klimawandel mit seinen Folgen (Menschenrecht-relevant) Einhalt zu gebieten.

Ein universelles Grundeinkommen

Dazu braucht es viele kluge und mutige Menschen, die die bereits vorhandenen Rechte befolgen, sie auch verteidigen. Mehr Durchsetzungskraft gegen die Macht des Geldes wäre hilfreich, um wieder den Wert der Natur und des Menschen als Teil von ihr höher schätzen zu können. Dazu bräuchte es ein noch viel wacheres Bewusstsein, dass es auch anders gehen könnte. Ich glaube, das wollte uns Liessmann auch sagen.

Er hat einmal in einem Interview mit Nicole Stern gemeint: "Wir sind eine technisch sehr effiziente Gesellschaft, die ungeheure Reichtümer fabrizieren kann. Da wäre es kein Problem, eine vernünftige Form eines bedingungslosen Grundeinkommens einzuführen." Ja, Herr Professor, ein solidarisch-motiviertes, bedingungsloses und universelles Grundeinkommen (www.pro-grundeinkommen.at) könnten wir bald haben, wenn wir dafür kämpften. Tun wir das?

Durch die Corona-Pandemie ist ja ins Zentrum gerückt, was diverse relevante Kampagnen und Manifeste schon lange aufzeigen: Die globale Grundeinkommen-Bewegung (www.basicincome.org) leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Armut, Unfreiheit und Ungerechtigkeit, sondern sie bietet uns auch ein Instrument, um den Menschen freier und fortschrittsfähiger zu machen.