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Assistierter Suizid statt unzureichender Unterstützung?

Von Anna Kitta

Gastkommentare
Anna Kitta ist Ärztin für Palliativmedizin an der Medizinischen Universität Wien, derzeit für ein Jahr auf Bildungskarenz und Absolvierende des Masterstudienganges Narrative Medicine an der Columbia University (New York) sowie Mitglied der Österreichischen und Europäischen Palliativgesellschaft.
© privat

Bei Palliativ- und Hospizversorgung geht es nicht nur um das Sterben, sondern um die Ermöglichung einer guten Lebensqualität für die letzten Tage, Monate oder Jahre.


Noch vor sechs Monaten war es in Österreich strafbar, anderen dabei zu helfen ihr Leben zu beenden. Dies wird auch als assistierter Suizid bezeichnet und wurde im Dezember 2020 durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) geändert. Ab Jänner 2022 wird es legal sein, Unterstützung bei einem Suizid zu leisten. In den nächsten Monaten ist die Regierung aufgerufen, Maßnahmen zum Schutz betroffener Menschen zu treffen, um Missbrauch zu verhindern.

Es muss gesichert werden, dass von den Betroffenen eine individuelle Entscheidung getroffen werden kann, die auf ihren persönlichen Wünschen beruht und frei von äußerem Druck ist. Die Gesetzesänderung beruft sich auf das Grundrecht der Selbstbestimmung. Um jedoch eine freie und selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können, muss zunächst jede und jeder Einzelne Zugang zu guter medizinischer Versorgung haben.

Als Assistenzärztin der Palliativstation des Allgemeinen Krankenhauses in Wien ist es für mich jeden Tag schwer, auf die Liste der auf Aufnahme Wartenden zu schauen. Palliative Care ist eine spezialisierte Versorgung für Patientinnen und Patienten mit unheilbaren Krankheiten und begrenzter Lebenserwartung. Sie basiert auf der Autonomie jeder und jedes Einzelnen und ermöglicht eine verbesserte Symptomkontrolle, psychosoziale Unterstützung und eine erhöhte Lebensqualität, während zugleich Freunde und Familie mitbetreut werden. Hospizversorgung findet meist in Einrichtungen statt, die von Spitälern getrennt sind, und legt Wert auf Geborgenheit und Verringerung von Leid.

Mangel an Palliativbetten

Bei beiden geht es nicht nur um das Sterben, sondern um die Ermöglichung einer guten Lebensqualität für die letzten Tage, Monate oder Jahre von Patienten mit unheilbarer Krankheit. Das Wiener AKH verfügt über 1.726 Betten, von denen lediglich 12 der Palliativstation zugeordnet sind. Die Warteliste enthält allerdings weit mehr Namen, als in dieses Dutzend Betten passen. Alternativen sind rar, da es in Wien kein Hospiz gibt und die fünf weiteren Krankenhäuser mit Palliativstationen selten ein freies Bett haben.

Auch mobile Palliativteams, die Patientinnen und Patienten in ihrem Zuhause betreuen, sind meist ausgelastet. Dies bedeutet, dass Menschen mit schweren Krankheiten, Schmerzen, Atembeschwerden und psychischer Belastung sterben, ohne die spezielle Betreuung zu erhalten, die sie benötigen. Diese Situation verursacht Angst in einer Lebenssituation, die ohnehin beängstigend ist. Jetzt ist assistierter Suizid zu einer möglichen Entscheidung geworden, und daher ist es umso dringlicher sicherzustellen, dass es sich um eine freie Entscheidung handelt und Alternativen gegeben sind.

Würdevolles Sterben

Studien zeigen, dass in Notaufnahmen Tätige in Österreich immer häufiger auf Patientinnen und Patienten mit palliativen Symptomen treffen, das System zur adäquaten Weiterversorgung jedoch unzureichend ist. In Österreich sterben jährlich 80.000 Menschen, von denen etwa 2 bis 3 Prozent Zugang zu spezialisierter Palliativversorgung haben. Es wird geschätzt, dass 10 Prozent der Sterbenden eine spezialisierte Palliativversorgung benötigen und für die verbleibende Mehrheit eine allgemeine Palliativversorgung zu Hause, in Krankenhäusern oder Pflegeheimen ausreicht. Laut einer globalen Analyse hat sich das Niveau der Palliativversorgung in den vergangenen Jahren verbessert, wurde aber noch nicht vollständig in den Gesundheitsplan des Landes integriert und entspricht nicht den Anforderungen: Österreich liegt auf dem gleichen Niveau wie Länder, die von der Weltbank als mit einem niedrigeren Einkommen klassifiziert sind, wie Georgien, Kasachstan oder Uganda.

Um frei entscheiden zu können, benötigen Menschen mit schweren Krankheiten Zugang zu Orten, die ein würdevolles Sterben ermöglichen. Genannte Gründe von Betroffenen, die sich für assistierten Suizid entscheiden, enthalten Aspekte, die von einem umfassenderen System der Palliativversorgung gelindert werden könnten: Verlust der Autonomie, Angst vor der Zukunft, Angst vor Leid und Angst, zu einer Belastung für andere zu werden.

Dies schließt nicht aus, dass Einzelpersonen die Freiheit haben sollten, sich für assistierten Suizid zu entscheiden. Sie sollen jedoch wissen, dass sie Zugang zu Unterstützung haben, die eine angemessene Symptomkontrolle ermöglicht. Auch sollte die Pflegearbeit nicht von Familienmitgliedern abhängig sein. Ein Großteil der Pflegearbeit wird außerhalb der Gesundheitseinrichtungen geleistet und hängt auch von den jeweiligen finanziellen Möglichkeiten der Patientinnen und Patienten ab.

Internationales Menschenrecht

Um eine freie Entscheidungsfindung am Lebensende zu gewährleisten, ist es wichtig, jeder und jedem Einzelnen spezialisierte Unterstützung zu ermöglichen, sodass zwischen dem Wunsch nach einem frühzeitigen Sterben und dem Ausweg aus unerträglichem Leid unterschieden werden kann. 2014 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass Palliativversorgung keine Option, sondern eine medizinische und ethische Notwendigkeit sei, die für alle Bedürftigen auf allen Ebenen der Gesundheitsversorgung zugänglich sein sollte. Der Zugang zu Palliativversorgung wird somit zunehmend als internationales Menschenrecht anerkannt.

Für Politikerinnen und Politiker, die sich mit einer umfassenderen Umsetzung der Palliativversorgung im allgemeinen Gesundheitsplan befassen, bleibt die Finanzierung ein Hauptanliegen, obwohl bereits gezeigt wurde, dass die Krankenhauskosten für Patienten, die Zugang zu Palliativversorgung haben, niedriger sind. Finanzielle Unterstützung bleibt daher ein Problem, und viele Einrichtungen der Palliativversorgung sind auf Ehrenamtliche, Spenden, jährliche Subventionen und relativ unsichere Formen der privaten Zusatzfinanzierung angewiesen.

Das derzeitige türkis-grüne Regierungsprogramm sieht vor, die Finanzierung der Hospiz- und Palliativversorgung zu sichern. Jetzt ist der Moment, in dem die Regierung die Ausweitung der Palliativ- und Hospizversorgung weiter umsetzen muss, um Bürgerinnen und Bürger mit begrenzter Lebenserwartung und schwerer Krankheit zu schützen, indem Suizide verhindert werden, die aus unzureichender Versorgung von Symptomen und psychischer Belastung resultieren, um somit Menschen eine autonome, informierte und freie Entscheidung zu ermöglichen.

Es ist gefährlich, assistierten Suizid zuzulassen, ohne angemessene Alternativen anzubieten. Während die Bundesregierung Maßnahmen und Vorschriften in Bezug auf assistierten Suizid erörtern muss, sollte nicht darauf vergessen werden, die landesweite Ausweitung der Palliativversorgung in allen Bundesländern sicherzustellen, die Aus- und Weiterbildung in der Palliativversorgung für alle Gesundheitsberufe zu stärken und vor allem das individuelle Recht auf Palliativversorgung zu garantieren.